Lisa geht zum Teufel (German Edition)
Familie verloren hatte? Was war das schon, verglichen mit dem Verlust einer Villa im besten Wohnviertel Madrids, einem Totalabsturz, den allein er zu verantworten hatte?
Das Öl wurde heiß. Delia gab den ersten Knoblauch hinein. Im jetzigen Stadium lief einem noch das Wasser im Mund zusammen. Die Pfanne zischte, und im Nu verbreitete sich der Knoblauchgeruch im Raum. Die Dunstschwaden zogen aber wie gewünscht hinaus auf den Gang und hinunter in den Flur, so dass der Aufenthalt in der Küche erträglich wurde.
»Ich schlage vor, wir essen erst nach Phase zwei.«
»Phase zwei?«, fragte Rafael.
»Was glaubst du, weshalb ich meine alte Pfanne von daheim mitgenommen habe?«, fragte sie und gab nun das Fleisch und etwas Gemüse hinein.
Phase zwei klang nach militärischem Großeinsatz, und Delia stand am Herd wie ein General, der eben zum Angriff der Infanterie hatte blasen lassen, nur waren ihre Soldaten Millionen kleine fiese Dunstpartikel, die statt Bajonetten und Schwertern ätzende Knoblauchpartikel ins Feld des Gegners trugen. Rafael hoffte inständig, dass Lisa ihren Angriff mit biochemischen Waffen nicht mit einem atomaren Gegenschlag beantworten würde.
Lisa war so gefesselt von ihrer Lektüre, dass sie das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Vor allem beschäftigte sie die Frage, ob man Männer wirklich so schlecht behandeln, unentwegt demütigen und an der kurzen Leine halten musste, damit sie sich obsessiv in einen verliebten. Llosa schien diese These zu vertreten, sonst hätte er wohl kaum diesen Roman geschrieben. Am Ende hatte sie Felipe damals zu gut behandelt, überlegte Lisa. Ein völlig neuer Aspekt der Vergangenheitsbewältigung, den sie aber im Moment nicht weiterzuverfolgen gedachte, weil sie eine zweite Sache nun noch viel mehr beschäftigte. Die Heldin in diesem Roman hatte ein hartes Leben gehabt, war in den Slums Perus aufgewachsen und hatte irgendwann beschlossen, ein »böses Mädchen« zu werden, um sich rücksichtslos ihre Scheibe vom Glück im Leben abzuschneiden. Sie war auf ihre Art nicht unsympathisch, und spätestens, als sie selbst an den Falschen geraten war – jemanden, der sie schlecht behandelte – und schwer erkrankte, konnte sie einem richtig leidtun, aber nicht gänzlich. Lisa hatte beim Lesen kein Mitleid mit ihr gehabt, eher ein ziemlich schäbiges Gefühl der Genugtuung empfunden. War das Leben wirklich so gerecht? Mussten die Bösen letztlich doch bezahlen? Lisa ließ das Buch in ihrer Hand für einen Moment sinken und starrte auf den Jacarandabaum, als ob das klare Blau seiner Blüten irgendeine Antwort darauf bereithalten würde. Wie oft hatte sie Felipe in die Hölle gewünscht, und das aus vollem Herzen. Das hatte in dem Moment zwar gutgetan, aber die darauffolgenden Alpträume, meist noch in derselben Nacht, waren ein untrügliches Indiz dafür gewesen, dass man sich damit nur selbst schadete. Das Gleiche galt für den Wunsch nach ausgleichender Gerechtigkeit. Es tat ihr nicht gut, denn immer, wenn sie dieses Verlangen verspürt hatte, war die alte Wut auf Felipe mit hochgekommen, Zorn, der ihr zu viel Energie raubte, auch wenn er gerecht war. Nun war dieser alte Zorn wieder da, und Lisa fragte sich, ob Felipe auch eines Tages für das, was er ihr und anderen angetan hatte, bezahlen müsste. »Der böse Junge«, der einfach nicht damit aufhören konnte, »böse« zu sein. Lisa beschloss, diesen Gedanken weit von sich zu schieben. Ihren Wunsch nach Gerechtigkeit hatte sie doch schon vor Jahren ans Universum abgegeben. Das hatte den Vorteil, dass sie nach wie vor Klägerin sein konnte, aber keine Richterin mehr war. Dies überließ sie lieber den Kräften, die dafür zuständig waren, dem Schicksal oder Nemesis selbst, der Göttin des gerechten Zorns. Sie hatte bisher ausnahmslos dafür gesorgt, dass sich schicksalhafte »Schieflagen« in irgendeiner Form begradigten – ein beruhigender Gedanke. Lisa legte das Buch auf den Tisch und überlegte, ins Haus zu gehen, um sich etwas zu essen machen, doch das Spiel der blauen Jacaranda-Blüten im Wind war viel zu schön. Schon wieder musste sie an »den bösen Jungen« denken. Würde sie ihm jemals verzeihen können? Die Antwort wurde ihr schnell klar. Nein, denn ohne Reue gab es kein Verzeihen, und er war der Letzte, der irgendetwas in seinem Leben bereuen oder sich gar dafür entschuldigen würde. Lisa raffte sich trotz der Schwermut ihrer Gedanken auf, blickte hinüber zum Haus und bemerkte, dass sich die
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