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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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dass sich die Albträume unserer Welten irgendwie vermischt hatten und man nicht mehr sagen konnte, wo der eine endete und der andere begann - ob der Dschungel nun aus dem Jeep oder der Jeep aus dem Dschungel herauswuchs.

    *

    Als ich ging, spielte Charlie fröhlich mit Lawrence und Little Bee. Ich war auf halbem Weg zum Parkplatz, als ich endlich ein Signal bekam. Ich schaute in den diesigen Himmel, dann wieder nach unten und entdeckte endlich zwei Striche auf meinem Display. Mein Magen verkrampfte sich, und ich dachte, so, ich mache es jetzt, bevor ich mich beruhigt habe und meine Meinung ändere. Ich rief den Verleger an und erklärte ihm, dass ich nicht länger Chefredakteurin seines Magazins sein wollte. Der Verleger sagte: In Ordnung.
    Ich sagte: Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mich richtig verstanden haben. In meinem Leben ist etwas Außergewöhnliches passiert, und darum muss ich mich kümmern. Daher muss ich meinen Job aufgeben. Und er erwiderte: Doch, ich habe Sie verstanden, das geht in Ordnung, ich finde jemand anderen. Dann legte er auf.
    Ich sagte: Oh.
    Ich stand eine Minute schockiert da, dann musste ich lächeln.
    Die Sonne schien herrlich. Ich schloss die Augen und ließ die Brise die Spuren der letzten Jahre wegretuschieren. Ein Anruf: So einfach ging das also. Die Menschen fragen sich, wie sie ihr Leben verändern sollen, doch im Grunde ist es erschreckend einfach.
    Ich dachte schon darüber nach, wie ich mit Andrews Buch weitermachen könnte. Der Trick bestand natürlich darin, es unpersönlich zu halten. Ich fragte mich, ob Andrew genau das schwergefallen war. Das Erste, was sie einem im Journalismusstudium beibringen, ist, dass man sich nicht selbst in die Geschichte einbringen darf.
    Doch wenn es die Geschichte überhaupt nur gibt, weil wir in der Geschichte sind? Allmählich verstand ich, wie sehr sich Andrew damit gequält haben musste. Ich fragte mich, ob er deshalb nie etwas von dem Projekt gesagt hatte.
    Lieber Andrew, dachte ich. Wie kommt es, dass ich mich dir jetzt näher fühle als an dem Tag, an dem wir geheiratet haben? Gerade eben wollte ich nicht hören, was Little Bee zu sagen hatte, weil ich wusste, dass ich an Lawrence festhalten muss. Und doch rede ich in Gedanken gleichzeitig mit dir. Da ist sie wieder, die gespaltene Zunge der Trauer, Andrew. Sie flüstert in ein Ohr: Kehr zurück zu dem, was du am meisten geliebt hast, und ins andere: Schau nach vorn.
    Mein Telefon klingelte, und ich öffnete abrupt die Augen. Es war Clarissa.
    »Sarah? Es heißt, du hättest gekündigt. Bist du wahnsinnig?«
    »Ich habe doch gesagt, dass ich mit dem Gedanken spiele.«
    »Sarah, ich spiele auch häufig mit dem Gedanken, mit Erstliga-Fußballern ins Bett zu steigen.«
    »Vielleicht solltest du es mal versuchen.«
    »Und vielleicht solltest du ins Büro kommen, auf der Stelle, und dem Verleger sagen, dass es dir sehr leidtut und dass du im Augenblick eine Trauerphase durchmachst und ob du bitte, bitte deinen schönen Job zurückhaben kannst.«
    »Aber ich will den Job nicht mehr. Ich möchte wieder Journalistin sein. Ich will etwas bewirken.«
    »Jeder will etwas bewirken, Sarah, aber dafür gibt es die richtige Zeit und den richtigen Ort. Weißt du eigentlich, was es bedeutet, wenn du einfach so dein Spielzeug aus dem Kinderwagen wirfst? Du hast eine Midlife-Crisis. Du bist nicht anders als der Mann in mittleren Jahren, der sich einen roten Sportwagen kauft und mit der Babysitterin ins Bett steigt.«
    Ich dachte darüber nach. Die Brise schien jetzt kühler. Ich bekam eine Gänsehaut. »Sarah?«
    »Oh, Clarissa, du hast recht, ich bin durcheinander. Meinst du, ich habe gerade mein Leben weggeworfen?«
    »Ich möchte nur, dass du darüber nachdenkst. Wirst du das tun, Sarah?«
    »Na schön.«
    »Und mich anrufen?«
    »Das mache ich. Clarissa?«
    »Darling?«
    »Danke.«
    Ich ging langsam zurück. Hinter mir umgab wildes Gras ein Eichenwäldchen, verwildert und von Blitzeinschlägen verkrüppelt, und vor mir erhob sich die Isabella Plantation mit ihren schmiedeeisernen Palisaden, gezähmt, üppig und fest umzäunt. Es ist schwer zu wissen, was man vom Leben will, wenn man tatsächlich vor die Wahl gestellt wird.
    Der Weg erschien mir lang. Als ich Lawrence und Little Bee entdeckte, eilte ich auf sie zu. Sie wirkten verloren, wie sie dastanden, voneinander abgewandt, ohne etwas zu sagen. Ich dachte, mein Gott, wie dumm bin ich gewesen. Ich habe mich immer als äußerst praktische Frau

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