Little Bee
offenen Meer begannen die Albträume. Es war naiv anzunehmen, ich hätte alles in meinem Land zurückgelassen. Nein, ich trug eine schwere Last mit mir.
Sie löschten meine Ladung in einem Hafen an der Themsemündung. Ich ging nicht über die Gangway, eure Einwanderungsbeamten trugen mich vom Schiff und steckten mich ins Abschiebegefängnis. Das Abschiebegefängnis war nicht zum Lachen. Was soll ich dazu sagen? Euer System ist grausam, aber viele von euch waren freundlich zu mir. Ihr habt Kartons mit Spenden geschickt. Ihr habt meinen Horror in Stiefel und ein buntes Hemd gekleidet. Ihr habt ihm etwas geschickt, mit dem er sich die Nägel bemalen konnte. Ihr habt Bücher und Zeitungen geschickt. Jetzt kann der Horror das Englisch der Königin sprechen. So können wir nun über Asyl und Zuflucht reden. So kann ich euch - bald-bald, wie wir in meinem Land sagen - ein wenig von dem erzählen, vor dem ich weggelaufen bin.
Mal ehrlich, sich umzubringen ist besser als manche der Dinge zu ertragen, die die Männer dir antun können. Sobald du das weißt, zucken deine Augen ständig hin und her und warten auf den Augenblick, in dem die Männer kommen.
In der Abschiebehaft erzählten sie uns, wir müssten diszipliniert sein, um unsere Ängste zu bewältigen. Dies ist die Disziplin, die ich gelernt habe: Wann immer ich an einen neuen Ort komme, finde ich als Erstes heraus, wie ich mich dort töten kann. Falls die Männer plötzlich kommen, muss ich bereit sein. Als ich das erste Mal in Sarahs Badezimmer war, dachte ich, ja, Little Bee, hier drinnen würdest du den Spiegel des Medizinschranks zerbrechen und dir mit den Splittern die Pulsadern aufschneiden. Als ich mit Sarah im Auto fuhr, dachte ich, hier, Little Bee, würdest du das Fenster öffnen und den Gurt lösen und dich einfach vor den nächsten Lastwagen fallen lassen, der dir entgegenkommt. Und als Sarah eines Tages mit mir in den Richmond Park ging, schaute sie sich die Gegend an, aber ich suchte nach einem Loch im Boden, in dem ich mich verstecken und ganz still liegen könnte, bis ihr von mir nur noch einen kleinen, weißen Schädel finden würdet, den die Füchse und Kaninchen mit ihren weichen, feuchten Nasen anstupsen.
Wenn die Männer plötzlich kommen, will ich bereit sein, mich zu töten. Habt ihr Mitleid, weil ich so denke? Wenn die Männer kommen und ihr nicht bereit seid, werde ich Mitleid mit euch haben.
In den ersten sechs Monaten im Abschiebegefängnis schrie ich jede Nacht und dachte mir tagsüber tausend Möglichkeiten aus, mich zu töten. Für jede einzelne Situation, in die ein Mädchen wie ich im Abschiebegefängnis geraten kann, überlegte ich mir eine Möglichkeit. Auf der Krankenstation, Morphium. In der Besenkammer, Bleichmittel. In der Küche, siedendes Fett. Ihr haltet das für übertrieben? Einige von denen, die mit mir eingesperrt waren, machten das tatsächlich. Die Wachbeamten ließen die Leichen nachts wegschaffen, damit die Leute im Ort die Ambulanzwagen nicht sahen.
Und wenn sie mich freigelassen hätten und ich in ein Kino gegangen wäre und mich dort hätte töten müssen? Dann hätte ich mich vom Vorführraum hinuntergestürzt. Oder in einem Restaurant? Ich hätte mich im größten Kühlschrank versteckt und wäre in einen langen, kalten Schlaf gefallen. Oder am Meer? Also, am Meer hätte ich einen Eiswagen gestohlen und wäre damit ins Wasser gefahren. Ihr hättet mich nie wiedergesehen. Zweitausend schmelzende Eispäckchen, die auf den kühlen blauen Wellen tanzen, wären der einzige Beweis für die Existenz eines verängstigten afrikanischen Mädchens gewesen.
Nach hundert schlaflosen Nächten hatte ich mir für jeden einzelnen Winkel des Abschiebegefängnisses und der Gegend draußen eine Möglichkeit ausgedacht, mich zu töten, doch meine Phantasie arbeitete weiter. Der Horror hatte mich geschwächt, und sie steckten mich in die Krankenstation. Weit weg von den anderen Gefangenen lag ich zwischen den kratzigen Laken und war jeden Tag allein mit meinen Gedanken. Ich wusste, sie wollten mich deportieren, also stellte ich mir vor, wie ich mich zu Hause in Nigeria töten würde. Es war wie im Abschiebegefängnis, nur die Landschaft war hübscher. Ein kleines, unerwartetes Glück. In Wäldern, in stillen Dörfern, an Berghängen nahm ich mir wieder und wieder das Leben.
An den schönsten Orten verweilte ich insgeheim ein wenig vor der Tat. Einmal, in einem tiefen, heißen Dschungel, der nach feuchtem Moos und Affenkot roch,
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