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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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verschmiert mit der lehmigen Erde von Surrey. Sofa von Habitat. Erinnerungen aus der Hölle.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich dachte, du wärst tot.«
    »Ich bin nicht tot. Vielleicht wäre das besser.«
    »Sag das nicht. Du siehst sehr müde aus. Du musst dich sicher ausruhen.«
    Das Schweigen dauerte zu lange.
    »Ja. Sie haben recht. Ich brauche ein bisschen Ruhe.«
    »Wie um Himmels willen bist du ... ich meine, wie hast du überlebt? Wie bist du hergekommen?«
    »Ich bin gegangen.«
    »Von Nigeria hierher?«
    »Bitte. Ich bin sehr müde.«
    »Oh. Ja. Natürlich. Ja. Möchtest du eine Tasse ...«
    Ich wartete ihre Antwort nicht ab, sondern ergriff die Flucht. Ich ließ Little Bee auf dem Sofa sitzen, gestützt auf die Kissen von John Lewis, und rannte nach oben. Ich schloss die Augen und legte meine Stirn an das kühle Glas des Schlafzimmerfensters. Ich wählte eine Telefonnummer. Die Nummer eines Freundes. Eigentlich mehr als ein Freund. Lawrence war mehr als das.
    »Was ist los?«, fragte Lawrence.
    »Du klingst genervt.«
    »Oh. Sarah. Du bist das. Mein Gott, entschuldige. Ich dachte, es wäre das Kindermädchen. Sie ist spät dran. Und das Baby hat gerade auf meine Krawatte gekotzt. Scheiße.«
    »Es ist etwas passiert, Lawrence.«
    »Was?«
    »Bei mir ist jemand aufgetaucht, mit dem ich wirklich nicht gerechnet habe.«
    »So ist das bei Beerdigungen immer. Die ganze abgelegte Vergangenheit kommt theatralisch aus dem Orkus. Du kannst sie nicht fernhalten.«
    »Ja, natürlich, aber es ist mehr als das. Es ist...«, stotterte ich und verstummte.
    »Sorry, Sarah, ich weiß, es klingt schrecklich, aber ich hab es furchtbar eilig. Kann ich dir irgendwie helfen?«
    Ich drückte mein erhitztes Gesicht ans kalte Glas. »Tut mir leid. Ich bin ein bisschen durcheinander.«
    »Das ist wegen der Beerdigung. Ist doch klar, dass du ziemlich durch den Wind bist. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Ich wünschte, du würdest mir erlauben, zu kommen. Wie fühlst du dich?«
    »Angesichts der Beerdigung?«
    »Angesichts der ganzen Situation.«
    Ich seufzte.
    »Ich fühle gar nichts. Ich bin ganz taub.«
    »Oh, Sarah.«
    »Ich warte einfach nur auf den Bestatter. Vielleicht bin ich etwas nervös. Das ist alles. Wie im Wartezimmer vom Zahnarzt.«
    »Aha«, erwiderte Lawrence vorsichtig.
    Pause. Im Hintergrund stritten seine Kinder am Frühstückstisch. Mir wurde klar, dass ich ihm nicht erzählen konnte, dass Little Bee bei mir aufgetaucht war. Nicht jetzt. Auf einmal kam es mir unfair vor, seine Probleme noch zu vergrößern. Spät dran, Baby kotzt auf Krawatte, Kindermädchen kommt nicht ... und dann auch noch ein angeblich totes nigerianisches Mädchen, das auf dem Sofa seiner Geliebten wiederauferstanden ist. Das konnte ich ihm nicht antun. So ist das mit Liebhabern. Man ist eben nicht verheiratet. Um im Rennen zu bleiben, muss man Rücksicht nehmen. Dem anderen gewisse Rechte auf ein eigenes Leben zugestehen. Also schwieg ich. Ich hörte, wie Lawrence tief durchatmete, der Verzweiflung nahe.
    »Was bringt dich denn so durcheinander? Dass du nicht genug fühlst?«
    »Mein Mann wird beerdigt. Da sollte ich wenigstens traurig sein.«
    »Du hast dich unter Kontrolle. Du bist eben keine Heulsuse. Sei doch froh.«
    »Ich kann nicht um Andrew weinen. Ich denke immer wieder an diesen Tag in Afrika. Am Strand.«
    »Sarah?«
    »Ja?«
    »Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, dass du das am besten vergessen solltest. Geschehen ist geschehen. Wir waren doch einer Meinung, dass du in die Zukunft schauen musst, oder?«
    Ich drückte meine linke Hand flach gegen die Fensterscheibe und starrte auf den Stumpf meines verlorenen Fingers.
    »Ich glaube, das mit dem >in die Zukunft schauen< funktioniert so nicht mehr, Lawrence. Ich glaube, ich kann nicht einfach weiter verdrängen, was geschehen ist. Ich glaube, ich kann es nicht. Ich ...« Meine Stimme erstarb.
    »Sarah? Tief durchatmen.«
    Ich öffnete die Augen. Draußen am Teich stach Batman noch immer heftig in die Luft. Im Radio meckerte Today weiter vor sich hin. Der Nachbar war fertig mit Wäscheaufhängen und stand jetzt einfach mit halb geschlossenen Augen da. Bald würde er sich an eine neue Aufgabe machen: Kaffee mahlen oder die Fadenspule seiner Motorsense reparieren. Kleine Probleme. Saubere Probleme.
    »Jetzt, wo Andrew, na ja, fort ist, Lawrence. Glaubst du, du und ich werden ...«
    Pause am anderen Ende. Dann wieder Lawrence, der vorsichtige Lawrence,

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