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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Haus-Rotkehlchen war hungrig und schaute aus einiger Entfernung zu. Batman hielt sich den Löwenzahn vors Gesicht und untersuchte die Wurzel. Kniend schaute er zu mir auf.
    »Ist das ein Unkraut, Mama?«
    »Ja, Liebling. Wenn du dir nicht sicher bist, frag das nächste Mal lieber, bevor du es ausgräbst.«
    Batman zuckte die Achseln. »Soll ich es in die wilde Ecke setzen ?«
    Ich nickte, und Batman trug den Löwenzahn in eine kleine Ecke des Gartens, wo Andrew solchen Missetätern eine Heimat gegeben hatte, weil er hoffte, sie würden Schmetterlinge und Bienen anlocken. In unserem kleinen Garten habe ich einen wilden Flecken angelegt, um mich an das Chaos zu erinnern, hatte Andrew in seiner Kolumne geschrieben. Unser modernes Leben ist zu geordnet, zu aseptisch.
    Das war vor Afrika gewesen.
    Batman setzte den Löwenzahn zwischen die Brennnesseln.
    »Mama, ist Unkraut böse?«
    Ich sagte, das hänge davon ab, ob man ein Junge oder ein Schmetterling sei. Batman verdrehte die Augen wie ein Journalist, der einen Politiker interviewt, der sich nicht festlegen will. Ich musste unwillkürlich lächeln.
    »Wer ist die Frau auf dem Sofa, Mama?«
    »Sie heißt Little Bee.«
    »Das ist ein komischer Name.«
    »Nicht wenn man eine Biene ist.«
    »Sie ist aber keine Biene.«
    »Nein. Sie ist ein Mensch. Sie kommt aus einem Land namens Nigeria.«
    »Hm. Ist sie eine von den Guten?«
    Ich stand auf. »Wir müssen jetzt gehen, Liebling. Der Bestatter holt uns ab.«
    » Bruce Wayne ?«
    »Ja.«
    »Fahren wir zur Bat-Höhle?«
    »Sozusagen.«
    »Hm. Ich komm gleich.«
    Ich spürte, wie mir der Schweiß auf den Rücken trat. Ich trug ein graues Wollkostüm und einen Hut, der nicht ganz schwarz, aber eine spätabendliche Reverenz davor war. Er verstieß nicht gegen die Tradition, hatte sich der Finsternis aber auch nicht völlig unterworfen. Am Hut war ein schwarzer Schleier befestigt, den ich im richtigen Augenblick herunterlassen konnte. Ich hoffte, jemand würde mir Bescheid sagen, wann das war.
    Ich trug marineblaue Handschuhe, die grenzwertig passend für eine Beerdigung waren. Der Mittelfinger des linken Handschuhes war abgeschnitten und umgenäht. Das hatte ich zwei Abende zuvor gemacht, sobald ich betrunken genug war, um es zu ertragen, in einem gnädigen Moment zwischen nicht mehr nüchtern und nicht mehr fähig. Der abgetrennte Finger des Handschuhs lag noch auf dem Nähtisch. Es fiel mir schwer, ihn wegzuwerfen.
    In meiner Jackentasche steckte das Handy, das ich schon auf lautlos geschaltet hatte. Dazu ein Zehn-Pfund-Schein für die Kollekte, falls es denn eine Kollekte gab. Bei einer Beerdigung war es eher unwahrscheinlich, sicher war ich mir nicht. (Und falls es eine Kollekte gab, waren zehn Pfund dann richtig? Fünf erschienen mir lächerlich wenig; zwanzig obszön und protzig.)
    Ich hatte niemanden mehr, den ich nach solch normalen Dingen fragen konnte. Little Bee wäre mir keine Hilfe. Ich konnte sie schlecht fragen: Sind die blauen Handschuhe in Ordnung? Sie würde sie nur anstarren, als hätte sie noch nie zuvor ein Paar Handschuhe gesehen, was durchaus der Fall sein konnte. (Ja, aber sind sie auch dunkel genug, Little Bee? Mal ganz unter uns - du als Flüchtling vor dem Horror und ich als Herausgeberin eines coolen Magazins - würden wir diese Blauschattierung mutig oder respektlos nennen?)
    Die normalen Dinge würden am schwersten werden, das wurde mir plötzlich klar. Unleugbar fehlte mir nun, da Andrew fort war, ein Mensch mit einer ausgeprägten Meinung über das Leben in einem zivilisierten Land.
    Unser Rotkehlchen hüpfte mit einem Wurm im Schnabel zwischen dem Fingerhut hervor. Die Haut des Wurms war rotbraun, wie ein Bluterguss.
    »Komm, Batman, wir müssen gehen.«
    »Gleich, Mama.«
    In der Stille des Gartens schüttelte das Rotkehlchen seinen Wurm und schluckte mit der raschen Gleichgültigkeit eines Gottes sein Leben vom Licht in die Dunkelheit. Ich fühlte gar nichts. Ich betrachtete meinen Sohn, der blass und verwirrt in unserem ordentlich angelegten Garten hockte, und schaute an ihm vorbei zu Little Bee, die müde und verdreckt auf uns wartete.
    Nun, so wurde mir klar, war die Wirklichkeit endlich eingedrungen. Wie albern sich mein sorgfältig errichtetes Verteidigungsbollwerk gegen die Natur ausnahm: mein freches Magazin, mein gutaussehender Ehemann, meine Maginot-Linie aus Mutterschaft und Affären. Die Welt, die wirkliche Welt, war eingedrungen. Sie hatte sich auf mein Sofa gesetzt und ließ sich

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