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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Doch obwohl meine Knöchel wehtaten und meine Waden auch, war es gut, sich zu bewegen und frei zu sein und die Nachtluft im Gesicht zu spüren und das taunasse Gras an meinen Beinen. Ich weiß, meine Schwester war auch glücklich. Sie pfiff leise vor sich hin. Als wir einmal eine Pause machten, um uns auszuruhen, bohrte sie am Rand eines Feldes die Zehen in die Erde und lächelte. Als ich sie lächeln sah, fühlte ich mich stark genug, um weiterzugehen.
    Das orangefarbene Glühen der Nacht verblasste, und ich konnte allmählich die Felder und Hecken um uns herum erkennen. Zuerst war alles grau, doch dann kamen die Farben ins Land - Blau und Grün, aber sehr weich, als trügen die Farben überhaupt kein Glück in sich. Dann ging die Sonne auf, und die ganze Welt wurde golden. Das Gold war überall um mich herum, und ich ging durch ganze Wolken davon. Die Sonne strahlte auf den weißen Nebel, der über den Feldern hing, und der Nebel wirbelte um meine Beine. Ich schaute zu meiner Schwester, doch sie war mit der Nacht verschwunden. Dennoch lächelte ich, weil ich merkte, dass sie mir ihre Kraft dagelassen hatte. Ich schaute mir den wunderschönen Sonnenaufgang an und dachte, ja, ja, von nun an wird alles so schön sein wie dies hier. Ich werde nie wieder Angst haben. Ich werde nie wieder einen Tag in der Farbe Grau gefangen sein.
    Vor mir war ein leises Dröhnen und Grollen zu hören. Der Lärm schwoll im Nebel an und ab. Das ist ein Wasserfall, dachte ich. Ich muss aufpassen, dass ich im Nebel nicht in den Fluss falle.
    Ich ging weiter, vorsichtiger, und der Lärm wurde lauter. Jetzt klang er gar nicht mehr wie ein Fluss. Mitten im Dröhnen waren einzelne Geräusche auszumachen. Jedes Geräusch wurde lauter, grollte und bebte und verklang. In der Luft hing ein schmutziger, scharfer Geruch. Jetzt konnte ich Autos und Lastwagen hören. Ich ging näher heran. Ich erreichte eine grasbewachsene Anhöhe, und da war sie. Die Straße war unglaublich. Auf meiner Seite gab es drei Reihen Verkehr, der von rechts nach links fuhr. Dann kam eine niedrige Metallbarriere und danach drei weitere Reihen Verkehr, der von links nach rechts fuhr. Die Autos und Lastwagen fuhren sehr schnell. Ich ging hinunter zum Straßenrand und streckte die Hand aus, um den Verkehr anzuhalten, weil ich hinüberwollte, doch der Verkehr hielt nicht an. Ein Lastwagen hupte, und ich musste zurückweichen.
    Ich wartete auf eine Verkehrslücke und rannte zur Mitte der Straße. Ich kletterte über die Metallbarriere. Diesmal hupten ganz viele Autos. Ich rannte weiter und den grünen Hang auf der anderen Straßenseite hinauf. Dort setzte ich mich hin. Ich war außer Atem. Ich sah den Verkehr unter mir vorbeirasen, drei Reihen in die eine Richtung und drei in die andere. Wenn ich den Mädchen zu Hause diese Geschichte erzählen würde, würden sie sagen, na schön, es war Morgen, also fuhren die Leute zur Arbeit auf die Leider. Warum aber tauschen die Leute, die von rechts nach links fahren, nicht ihre Felder mit den Leuten, die von links nach rechts fahren? So könnten alle auf den Feldern in der Nähe ihres Hauses arbeiten. Ich würde nur mit den Schultern zucken, weil alle Antworten zu weiteren albernen Fragen wie dieser führen würden: Was ist ein Büro, und was kann man da anbauen?
    Ich merkte mir die Autobahn als Ort, an dem ich mich mühelos umbringen konnte, falls plötzlich die Männer kämen, und dann stand ich auf und ging weiter. Ich ging noch eine Stunde über die Felder. Dann erreichte ich einige kleinere Straßen, an denen Häuser standen. Ich war verblüfft, als ich sie sah. Sie waren zwei Stockwerke hoch und aus starken, roten Ziegeln gebaut. Sie hatten schräge Dächer mit sauberen Reihen von Dachziegeln. Sie hatten weiße Fensterrahmen, und in allen war Glas. Nichts war kaputt. Alle Häuser waren sehr fein, und eines sah aus wie das andere. Vor fast jedem Haus stand ein Auto. Ich ging die Straße entlang und starrte auf die schimmernden Reihen. Es waren wunderschöne Autos, elegant und glänzend, nicht so wie die bei mir zu Hause. In meinem Dorf gab es nur zwei Autos, einen Peugeot und einen Mercedes. Der Peugeot kam, bevor ich geboren wurde. Das weiß ich, weil mein Vater der Fahrer war und mein Dorf der Ort, an dem sein Peugeot zweimal hustete und im roten Staub starb. Er ging in das erste Haus im Dorf, um nach einem Mechaniker zu fragen. Einen Mechaniker hatten sie nicht, dafür aber meine Mutter, und mein Vater begriff, dass er sie mehr

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