Little Bee
nicht länger leugnen.
Ich ging zur Haustür, um dem Bestatter zu sagen, dass wir in einer Minute kommen würden. Er nickte. Hinter ihm sah ich seine Männer, blass und verkatert in ihren Fräcken. Ich habe in meinem Leben mehr als einen Gin getrunken und erkannte den feierlichen Gesichtsausdruck. Ein Viertel Mitleid, drei Viertel Ich-trinke-nie-wieder. Die Männer nickten mir zu. Für eine Frau mit einem sehr guten Job ist es eine eigentümliche Erfahrung, von Männern mit Tattoos und Kopfschmerzen bemitleidet zu werden. So werden mich von nun an vermutlich alle Leute anschauen, wie eine Fremde in diesem Land meines Herzens, das ich nie hätte bereisen sollen.
Auf der Straße vor unserem Haus warteten Leichenwagen und Limousine. Ich ging die Auffahrt hinunter und warf einen Blick durch das grüne Glas des Leichenwagens. Drinnen stand Andrews Sarg auf schimmernden Chromrollen. Andrew, der acht Jahre lang mein Ehemann gewesen war. Ich dachte: Jetzt müsste ich etwas empfinden. Ich dachte: Rollen. Wie praktisch.
In unserer Straße erstreckten sich die Doppelhaushälften in beide Richtungen bis ins Unendliche. Wolken zogen über den Himmel, nichtssagend und bedrückend, alle gleich, alle drohten mit Regen. Ich blickte wieder zu Andrews Sarg und dachte an sein Gesicht. Ich sah es tot vor mir. Wie langsam er gestorben war in diesen beiden Jahren. Wie unmerklich sich sein Gesicht verwandelt hatte, von todernst zu ernstlich tot. Die beiden Gesichter verschwammen schon ineinander. Mein lebender Mann und mein toter Mann - nicht mehr klar abgegrenzt, als würde ich die beiden unter dem Sargdeckel verschmolzen finden wie siamesische Zwillinge, mit weit aufgerissenen Augen, die in beide Richtungen ins Unendliche blickten.
Und nun kam mir ein neuer Gedanke, durchdrungen von der Klarheit des Grauens: Andrew war einmal ein leidenschaftlicher, liebevoller, kluger Mann.
Ich starrte auf den Sarg meines Ehemanns und klammerte mich an diesen Gedanken. Ich hielt ihn meinem Gedächtnis hin wie eine zaghafte weiße Flagge. Ich erinnerte mich, wie Andrew gewesen war, als wir bei derselben Zeitung gearbeitet hatten. Damals lieferte er sich eine lautstarke Auseinandersetzung mit seinem Chefredakteur über irgendein hehres Prinzip, worauf er mit Pauken und Trompeten fristlos entlassen wurde und wild und wunderschön in den Flur herausgestürmt kam. Zum ersten Mal dachte ich, das ist ein Mann, auf den man stolz sein kann. Dann stolperte Andrew praktisch über mich, weil ich mit offenem Mund im Flur gelauscht hatte und nun tat, als müsste ich schnell in die Redaktion. Andrew grinste und sagte, Hätten Sie Lust, einem ehemaligen Kollegen ein Essen auszugeben? Es war das große Los. Als hätte man den Blitz in einer Flasche eingefangen.
Nach Charlies Geburt kühlte unsere Ehe ab. Als ob der eine Blitzschlag reichen müsste und fast die ganze Hitze, die er abstrahlte, von unserem Kind absorbiert worden sei. Nigeria hatte den Niedergang beschleunigt und der Tod den Schlusspunkt gesetzt, doch die Entfremdung und meine Affäre mit Lawrence waren dem vorausgegangen. Das war es, was mich lähmte. Es gab keine spontane Trauer um Andrew, weil ich ihn ganz allmählich verloren hatte. Zuerst aus meinem Herzen, dann aus meinen Gedanken und schließlich aus meinem Leben.
In diesem Augenblick überkam mich echter Kummer. Dies war der Schock, der mich zittern ließ, als hätte etwas ein Erdbeben tief in meinem Inneren ausgelöst, das nun blindlings an die Oberfläche drängte. Ich zitterte, doch es gab keine befreienden Tränen.
Ich ging wieder ins Haus und holte meinen Sohn und Little Bee. Zusammengewürfelt, benebelt, halb losgelöst gingen wir zur Beerdigung meines Mannes. Noch immer zitternd saß ich in der Kirchenbank und begriff, dass wir nicht um die Toten weinen. Wir weinen um uns selbst, und ich hatte mein Mitleid nicht verdient.
Als es vorbei war, fuhr uns jemand nach Hause. Ich saß auf dem Rücksitz des Wagens und hielt Charlie ganz fest. Ich weiß noch, dass es nach altem Zigarettenrauch roch. Ich streichelte Charlie über den Kopf und zeigte ihm die alltäglichen Dinge, an denen wir vorbeifuhren, beschwor einen hoffnungsvollen Zauber herauf, indem ich die Namen von Häusern, Geschäften und Autos flüsterte. Wir brauchten ganz normale Substantive, entschied ich. Die alltäglichen Dinge würden uns retten. Es machte nichts, dass Charlies Batmankostüm mit Graberde verdreckt war. Zu Hause tat ich es in die Wäsche und gab ihm das saubere.
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