Little Bee
offenbar tun.
Ich Schlauberger wollte im Urlaub mal ganz woandershin. In Nigeria tobte damals ein Ölkrieg. Das hatten Andrew und ich nicht gewusst. Der Krieg war kurz, verworren und wurde in den Medien kaum erwähnt. Die britische und die nigerianische Regierung leugnen bis heute, dass es ihn überhaupt gegeben hat. Gott weiß, nicht nur sie haben es mit Leugnen versucht.
Ich frage mich noch immer, wie ich auf die Idee kommen konnte, einen Urlaub in Nigeria anzunehmen. Ich würde gern behaupten, es sei das einzige kostenlose Angebot, das wir in jenem Frühjahr in der Redaktion erhielten, aber sie kamen kistenweise - wir hatten Kartons voll ungeöffneter Umschläge, in denen Piz Buin aus zerrissenen Probetütchen sickerte. Ich hätte mich auch für die Toskana oder Belize entscheiden können. Die ehemaligen Sowjetstaaten waren gerade in. Aber nein. Meine eigenwillige Ader - die mich auch dazu brachte, Nixie herauszugeben, statt zu einem zahmeren Hochglanzmagazin zu gehen, und eine Affäre mit Lawrence anzufangen, statt meine Beziehung zu Andrew zu reparieren -, jener ständig nach außen drängende Impuls weckte in mir eine pubertäre Erregung, als ein Päckchen mit der Aufschrift Warum nicht mal in Nigeria Urlaub machen? auf meinem Schreibtisch landete. Darunter hatte ein Witzbold mit fettem schwarzem Marker die offensichtliche Antwort gekritzelt. Aber ich war neugierig und öffnete den Umschlag. Heraus fielen zwei unbefristete Flugtickets und eine Hotelreservierung. Man brauchte praktisch nur noch mit einem Bikini in der Tasche am Flughafen zu erscheinen.
Andrew flog wider besseres Wissen mit. Das Außenministerium riet von Reisen in bestimmte Gegenden Nigerias ab, doch wir waren der Meinung, unsere gehöre nicht dazu. Ich musste ihn erst überreden und erinnerte ihn an unsere Flitterwochen auf Kuba, wo ebenfalls furchtbare Gegenden existierten. Andrew gab nach. Vermutlich glaubte er, ihm bliebe keine andere Wahl, wenn er mich behalten wollte.
Die Tourismusbehörde, die die Unterlagen verschickt hatte, bezeichnete den Strand von Ibeno als »Reiseziel voller Abenteuer«. Als wir dorthin kamen, war es eher ein geographisch begrenztes Katastrophengebiet. Im Norden lag ein malariaverseuchter Dschungel, im Westen ein breites braunes Flussdelta. Das Wasser schimmerte in allen Regenbogenfarben - vom Öl. Inzwischen weiß ich, dass der Fluss auch aufgebläht war von den Leichen der Ölarbeiter.
Im Süden lag der Atlantik. An jenem südlichen Rand begegnete ich einem Mädchen, das nicht zur Zielgruppe meines Magazins gehörte. Mit blutenden Füßen war Little Bee aus dem, was von ihrem Dorf übrig war und demnächst ein Ölfeld werden sollte, nach Südosten geflohen. Sie floh vor Männern, die sie umbringen würden, weil man sie dafür bezahlte, und Kindern, die sie umbringen würden, weil man es ihnen befahl. Ich saß an meinem Küchentisch und stellte mir vor, wie sie über die Felder und durch den Dschungel floh, bis sie den Strand erreichte, an dem Andrew und ich unkonventionelle Ferien machten. Weiter als bis zum Strand kam sie nicht.
Mein fehlender Finger juckte, wenn ich nur daran dachte.
Als sie aus dem Garten hereinkamen, schickte ich Batman zum Spielen in seine Bat-Höhle und zeigte Little Bee die Dusche. Dann suchte ich ihr ein paar Kleidungsstücke zusammen. Als Batman im Bett war, mixte ich uns zwei Gin Tonic. Little Bee setzte sich und hielt ihr Glas fest, die Eiswürfel klirrten. Ich kippte meinen G&T hinunter wie Medizin.
»Also«, sagte ich. »Ich bin bereit. Ich bin bereit, mir anzuhören, was passiert ist.«
»Sie wollen wissen, wie ich überlebt habe?«
»Fang einfach vorn an, in Ordnung? Sag mir, wie es war, als du zum Meer gekommen bist.«
Also erzählte sie mir, wie sie sich an dem Tag, an dem sie den Strand erreichte, versteckt hatte. Sie war sechs Tage lang gelaufen, war nachts durch die Felder gerannt und hatte sich bei Tagesanbruch in Dschungeln und Sümpfen versteckt. Ich schaltete das Radio in der Küche aus und saß ganz still da, während sie mir erzählte, wie sie sich in einem Dschungelausläufer verkrochen hatte, der sich bis zum Sand hinunterzog. Dort lag sie während der heißesten Zeit des Tages und schaute auf die Wellen. Sie sagte mir, sie habe nie zuvor das Meer gesehen und nicht so recht daran geglaubt.
Am späten Nachmittag war Little Bees Schwester Nkiruka aus dem Dschungel gekommen und hatte ihr Versteck gefunden. Sie setzte sich neben sie. Sie umarmten sich lange. Sie
Weitere Kostenlose Bücher