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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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später, in Kingston-upon-Thames am Küchentisch, konnte ich es noch immer hören. Ich starrte auf meine Versehrte Hand, die mit der Handfläche nach unten auf dem blauen Tischtuch lag.
    Little Bee war auf dem Sofa eingeschlafen, den unberührten Gin Tonic neben sich. Ich wusste nicht, wann sie aufgehört hatte zu erzählen und meine Erinnerung begonnen hatte. Ich stand auf, um mir noch einen Drink zu machen. Ich hatte keine Zitronen mehr, also spritzte ich ein bisschen Saft aus der Plastikflasche hinein. Die Eiswürfel im Glas klirrten heftig. Der Gin Tonic schmeckte widerlich, verlieh mir aber Mut. Ich griff zum Telefon und wählte die Nummer des Mannes, den ich wohl als meinen »Geliebten« bezeichnen muss, obwohl es mich bei dem Wort schüttelt.
    Mir fiel ein, dass ich Lawrence nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag anrief. Ich hatte versucht, es nicht zu tun. Fast eine Woche war es mir gelungen - seit Andrew gestorben war. So lange war ich meinem Mann seit Jahren nicht treu gewesen.
    »Sarah? Bist du das?«
    Lawrence flüsterte. Meine Kehle wurde eng. Ich konnte nicht sofort antworten.
    »Sarah? Ich habe den ganzen Tag an dich gedacht. War es sehr schlimm? Du hättest mich zur Beerdigung kommen lassen sollen.«
    Ich schluckte. »Es wäre unpassend gewesen.«
    »Oh, Sarah, wer hätte es denn gewusst?«
    »Ich hätte es gewusst, Lawrence. Mein Gewissen ist so ziemlich alles, was mir geblieben ist.«
    Schweigen. Sein langsamer Atem am Telefon. »Es ist in Ordnung, wenn du Andrew noch liebst. Für mich jedenfalls.«
    »Du meinst, ich liebe ihn noch?«
    »Es ist nur eine Idee. Falls es dir hilft.«
    Ich lachte - ein beinahe unhörbares Ausatmen. »Heute versuchen alle, mir zu helfen. Sogar Charlie ist ohne jedes Theater ins Bett gegangen.«
    »Es ist doch normal, dass die Leute dir helfen wollen. Du musstest viel ertragen.«
    »Unerträglich bin ich. Ich staune, dass Leute wie du mich immer noch gernhaben.«
    »Du bist sehr hart mit dir.«
    »Tatsächlich? Heute habe ich gesehen, wie der Sarg meines Mannes auf Rollen herumgeschoben wurde. Wann sollte ich mir wohl Gedanken über mich selbst machen, wenn nicht an einem solchen Tag?«
    »Hm«, sagte Lawrence.
    »Nicht viele Männer würden sich einen Finger abschneiden, oder?«
    »Was? Nein. Ich definitiv nicht.«
    Meine Kehle brannte. »Ich habe zu viel von Andrew erwartet, oder? Nicht nur am Strand. Ich habe zu viel vom Leben erwartet.«
    Langes Schweigen.
    »Was hast du von mir erwartet?«, fragte Lawrence. Die Frage kam unerwartet, und ich hörte den Zorn in seiner Stimme. Meine Hand mit dem Hörer zitterte.
    »Du sprichst in der Vergangenheit. Ich wünschte, du würdest das nicht tun.«
    »Nein?«
    »Nein. Bitte nicht.«
    »Oh. Ich dachte, darum ginge es bei diesem Anruf. Ich habe gedacht, deshalb hat sie mich nicht zur Beerdigung eingeladen. So würdest du es doch machen, wenn du dich von mir trennen wolltest, oder? Es gäbe eine Art Vorbemerkung, was für ein schwieriger Mensch du bist, und dann würdest du es mir beweisen.«
    »Bitte, Lawrence. Das ist schrecklich.«
    »Oh, Gott, ich weiß. Es tut mir leid.«
    »Sei bitte nicht böse auf mich. Ich habe angerufen, weil ich dich um Rat fragen wollte.«
    Pause. Dann ein Lachen. Nicht bitter, aber trostlos.
    »Du fragst nicht um Rat, Sarah.«
    »Nein?«
    »Nein. Niemals. Nicht in wichtigen Dingen jedenfalls. Du fragst, ob deine Strümpfe zu deinen Schuhen passen. Du fragst, welches Armband an dein Handgelenk passt. Aber du willst keinen Input. Du willst nur einen Beweis von deinen Bewunderern, dass sie dir Aufmerksamkeit schenken.«
    »Bin ich wirklich so schlimm?«
    »Eigentlich noch schlimmer. Denn wenn ich dir mal sage, dass Gold gut zu deiner Haut passt, trägst du demonstrativ Silber.«
    »Ehrlich? Das ist mir gar nicht aufgefallen. Tut mir leid.«
    »Egal. Ich mag es, dass es dir nicht einmal auffällt. Es gibt jede Menge Frauen, denen es wichtig ist, was man von ihrem Schmuck hält.«
    Ich ließ meinen Gin Tonic im Glas kreisen und trank einen vorsichtigen Schluck. »Du willst, dass ich mich besser fühle, was?«
    »Ich sage nur, dass man einer Frau wie dir nicht jeden Tag begegnet.«
    »Und das ist ein Lob, ja?«
    »Ja, ein relatives Lob. Und jetzt hör auf, nach Komplimenten zu angeln.«
    Ich glaube, da lächelte ich zum ersten Mal seit einer Woche.
    »So haben wir noch nie miteinander geredet, oder? Ehrlich geredet, meine ich«, sagte ich. »Willst du eine ehrliche Antwort darauf?«
    »Anscheinend

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