Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
Vom Netzwerk:
hierbleiben. Sie sagt, sie kennt sonst niemanden.«
    »Meinst du das ernst? Kann sie denn bleiben? Rechtlich gesehen, meine ich.«
    »Ich bin mir nicht sicher. Ich habe nicht danach gefragt. Sie war erschöpft. Ich glaube, sie ist den ganzen Weg vom Abschiebegefängnis bis hierher gelaufen.«
    »Sie ist wahrscheinlich verrückt.«
    »Sie hatte kein Geld. Sie konnte schlecht den Bus nehmen. «
    »Hör zu, das gefällt mir nicht. Ich mache mir Sorgen, wenn du mit ihr allein bist.«
    »Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?«
    »Ich denke, du solltest sie wecken und wegschicken. Das meine ich ernst.«
    »Wohin denn? Und wenn sie sich weigert?«
    »Dann möchte ich, dass du die Polizei rufst und sie abholen lässt.«
    Ich sagte nichts.
    »Hast du mich verstanden, Sarah? Ich will, dass du die Polizei rufst.«
    »Ich habe dich verstanden. Ich wünschte, du würdest nicht sagen >Ich will<.«
    »Ich denke doch nur an dich. Was, wenn sie gemein wird?«
    »Little Bee? Ich glaube nicht, dass auch nur ein Funke Gemeinheit in ihr steckt.«
    »Woher willst du das wissen? Du kennst das Mädchen überhaupt nicht. Wenn sie nun nachts mit einem Küchenmesser in dein Zimmer kommt? Wenn sie wahnsinnig ist?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Mein Sohn würde es merken, Lawrence. Seine Bat-Sinne würden es ihm sagen.«
    »Verdammte Scheiße, Sarah! Das ist nicht witzig! Ruf die Polizei.«
    Ich schaute zu Little Bee, die mit leicht geöffnetem Mund tief und fest auf meinem Sofa schlief. Sie hatte die Knie an die Brust gezogen. Ich schwieg.
    »Sarah?«
    »Ich werde nicht die Polizei rufen. Sie kann hierbleiben.«
    »Aber wieso? Dabei kann doch nichts Gutes herauskommen.«
    »Letztes Mal konnte ich ihr nicht helfen. Vielleicht kann ich es heute.«
    »Und was genau willst du damit beweisen?«
    Ich seufzte. »Vielleicht deine Behauptung, dass ich niemals Ratschläge annehme.«
    »Du weißt, dass ich etwas anderes meinte.«
    »Ja. Womit wir wieder am Ausgangspunkt wären.«
    »Und der wäre?«
    »Dass ich manchmal schwierig bin.«
    Lawrence lachte, aber es klang gezwungen.
    Ich legte auf und betrachtete lange die weißen Dielen des Küchenbodens. Dann ging ich nach oben, um bei meinem Sohn auf dem Boden zu schlafen. Ich wollte in seiner Nähe sein. Ich gestand mir ein, dass Lawrence nicht unrecht hatte: Ich wusste wirklich nicht, was Little Bee vielleicht nachts tun würde.
    Ich saß da, den Rücken gegen die kalte Heizung in Charlies Zimmer gelehnt, die Knie unter einer Daunendecke, und versuchte mich zu erinnern, was ich in Lawrence gesehen hatte. Ich trank meinen Gin Tonic aus und verzog das Gesicht bei dem Geschmack der Ersatzzitrone. Es war ein vergleichsweise kleines Problem: der Mangel an echten Zitronen. Beinahe tröstlich. Ich komme aus einer Familie, deren Probleme immer klein und zu bewältigen waren.
    In meiner Familie gab es keine außerehelichen Affären. Mama und Papa liebten einander entweder sehr oder sie hatten arbeitslose Schauspieler angeheuert, die fünfundzwanzig Jahre lang bei uns zu Hause die freundlichen Turteltauben gaben und auch später noch aufs Stichwort aus den Kulissen sprangen, wenn die Sprösslinge zu einem Wochenendbesuch von der Universität oder einem Sonntagsessen mit Eltern und Freund aufzutauchen drohten. In meiner Familie machte man in Devon Urlaub und blieb ein Leben lang mit dem Partner zusammen. Ich fragte mich, warum es bei mir anders gelaufen war.
    Ich schaute zu meinem Sohn, der reglos und blass im Batmankostüm unter seiner Daunendecke schlief. Ich horchte auf seinen Atem, regelmäßig und fest und tief im Schlaf versunken. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so geschlafen hatte, jedenfalls nicht seit meiner Heirat mit Andrew. Schon nach einem Monat wusste ich, dass er nicht der Richtige war. Danach hält einen die wachsende Unzufriedenheit nachts wach. Das Gehirn weigert sich, die alternativen Leben loszulassen, die man hätte haben können. Wer gut schläft, schläft nicht in der Gegend herum.
    Aber ich hatte zumindest eine glückliche Kindheit, und ich hieß Sarah Summers. Ich benutze Summers noch beruflich, habe den Namen aber persönlich verloren. Als Mädchen mochte ich, was alle Mädchen mögen: rosa Plastikarmbänder, später dann silberne; ein paar Jungs als Freunde, zur Übung, und dann ohne besondere Eile Männer. England, das war Frühnebel, der bis zur Schulter des Pferdes stieg, Kuchen, der auf dem Gitter abkühlte; zartes Erwachen. Meine erste wirkliche Entscheidung war

Weitere Kostenlose Bücher