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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Taste. Das Klingeln des anderen Telefons verstummte.
    »Oh Gott«, sagte Sarah. »Oh nein.«
    »Was ist denn los ?«
    Sarah holte tief Luft. Ihr ganzer Körper bebte. »Ich wollte Andrew anrufen. Ich weiß nicht, wieso. Es war ganz automatisch, ich habe gar nicht nachgedacht. Wenn es ein Problem mit Charlie gab, habe ich immer Andrew angerufen.
    Ich habe vergessen, dass er ... du weißt schon. Oh Gott. Ich verliere den Verstand. Ich dachte, ich wäre bereit, zu hören, was mit dir ... und deiner Schwester geschehen ist. Aber das war ich nicht. Ich war nicht bereit. Oh Gott.«
    Wir saßen da, und ich hielt ihre Hand, während sie weinte. Dann gab sie mir ihr Telefon. Sie deutete auf das Display.
    »Siehst du, ich habe ihn noch im Adressbuch.«
    Auf dem Display des Telefons stand Andrew und dann eine Nummer. Einfach nur Andrew - ohne Nachnamen.
    »Würdest du ihn für mich löschen, Bee? Ich kann es nicht.«
    Ich hielt ihr Telefon in meinen Händen. Ich hatte schon Leute mit Mobiltelefonen telefonieren sehen, sie aber immer für sehr kompliziert gehalten. Ihr werdet mich auslachen - na bitte, das dumme kleine Mädchen, dessen Haut nach Tee riecht und das noch Cassavaflecken an den Fingern hat -, aber ich dachte immer, man müsste eine Frequenz suchen. Ich dachte, man müsste eine Wählscheibe drehen, bis man das Signal seiner Freundin gefunden hätte, ganz leise und schwach, als stellte man bei einem Aufziehradio den BBC World Service ein. Für so kompliziert hielt ich Mobiltelefone. Ich dachte, man müsste die Wählscheibe durch die ganzen zischenden und quietschenden Laute drehen, und zuerst würde man die Stimme der Freundin ganz sonderbar und dünn und von fernem Geheul erstickt hören - als hätte man die Freundin plattgedrückt wie einen Keks und in eine Metalldose voller Affen geworfen -, doch dann würde man die Wählscheibe noch ein winziges bisschen weiter drehen, und die Freundin würde auf einmal etwas sagen wie God save the Queen! und vom Wetter in den Schifffahrtsgebieten rund um die Britischen Inseln berichten. Und dann könnte man miteinander reden.
    Nun aber entdeckte ich, dass es viel einfacher war, ein Mobiltelefon zu benutzen. In eurem Land ist alles so einfach. Neben dem Namen Andrew stand Optionen, und ich drückte darauf. Option 3 war Löschen, also drückte ich darauf, und schon war Andrew O'Rourke fort.
    »Danke«, sagte Sarah. »Ich konnte es einfach nicht selber tun.«
    Sie schaute lange auf ihr Telefon.
    »Ich habe so schreckliche Angst, Bee. Ich kann niemanden anrufen. Andrew war manchmal wirklich unerträglich, aber immer so vernünftig. Wahrscheinlich war es verrückt, Charlie gleich wieder in den Kindergarten zu bringen. Aber ich dachte, es wäre gut, wenn er seinen üblichen Tagesablauf hat. Ich kann ja niemanden mehr fragen, Bee, verstehst du? Ich weiß nicht, ob ich das alleine schaffe. In allem, was Charlie angeht, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Viele Jahre lang, verstehst du? Das richtige Benehmen, die richtigen Schulen, die richtigen Freunde, die richtige Universität, die richtige Frau. Oh Gott, der arme Charlie.«
    Ich legte meine Hand auf ihre. »Wenn du willst, komme ich mit zum Kindergarten.«
    Sarah legte den Kopf schief und sah mich lange an. Dann lächelte sie. »Aber nicht in diesen Sachen.«
    Zehn Minuten später verließ ich mit Sarah das Haus. Ich trug ein rosa Sommerkleid, das sie mir geliehen hatte. Es war das Hübscheste, was ich je getragen hatte. Um den Halsausschnitt waren ganz zarte weiße Blümchen gestickt. Ich kam mir vor wie die Königin von England. Es war ein sonniger Morgen, und es wehte ein kühler Wind, und ich hüpfte hinter Sarah den Gehweg entlang, und immer, wenn wir an einer Katze oder einem Postboten oder einer Frau mit Kinderwagen vorbeikamen, lächelte ich und sagte: How do you do? Die Leute schauten mich an, als wäre ich verrückt, warum, weiß ich auch nicht. Ich dachte, so grüßt man doch nicht seine Monarchin.
    Der Kindergarten gefiel mir nicht. Er war in einem großen Haus mit hohen Fenstern, aber die Fenster waren geschlossen, obwohl so ein schöner Tag war. Die Luft drinnen war stickig. Es roch nach Toilette und Plakafarbe, und das war genau wie der Geruch des Therapieraums im Abschiebegefängnis, und die Erinnerung machte mich traurig. Im Abschiebegefängnis machten sie die Fenster nicht auf, weil man sie nicht aufmachen konnte. Im Therapieraum gaben sie uns Plakafarbe und Pinsel und sagten, wir sollten uns selbst ausdrücken.

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