Little Bee
»Das ist fantastisch, Sarah. Die Geschichte wird wochenlang Schlagzeilen machen. Sie haben mich beauftragt, eine Artikelserie über den Sturz des Innenministers zu schreiben. Das ist eine Goldgrube. Sie haben mir ein eigenes Rechercheteam gegeben. Aber daran werde ich rund um die Uhr arbeiten müssen. Du kommst doch mit Charlie klar, oder?«
Ganz sanft drückte ich das Gespräch weg. Es war leichter, als Andrew die Veränderung in unserem Leben zu verkünden. Es war leichter, als zu erklären, dass unsere Ehe soeben, ganz versehentlich, durch einen Trupp Intriganten, die einen blinden Mann schikanierten, eine tödliche Wunde erlitten hatte.
Ich legte das Telefon weg und schaute Lawrence an. »Ich möchte dich wiedersehen.« Unsere Affäre spielte sich während der Bürozeiten ab.
Lange Mittagspausen im kurzen Rock. Gestohlene Nachmittage in hübschen Hotels. Dann und wann sogar einmal ein Abend. Andrew legte Nachtschichten in der Redaktion ein, und wenn ich einen Babysitter bekam, konnten Lawrence und ich machen, was wir wollten. Gelegentlich dachte ich in einer Mittagspause, die sich bis zur Teezeit ausdehnte, mit einem Glas Weißwein in der Hand und Lawrence nackt neben mir, an all die Journalisten, die keine Führungen durchs Ministerium bekamen, an all die Medienfrühstücke, die nicht organisiert wurden, und an all die Presseerklärungen, die in Lawrences Computer warteten, wo der Cursor am Ende eines unvollendeten Satzes blinkte. Dieses neue Ziel stellt einen weiteren bedeutenden Fortschritt im Regierungsprogramm der_
Mahlzeiten, die während eines Flugzeugabsturzes serviert werden. Das war unsere Affäre. Lawrence und ich flohen vor unseren jeweiligen Tragödien zueinander, und sechs Monate lang gingen die britischen Uhren während der Bürostunden langsamer. Ich wünschte, ich könnte sagen, das sei alles gewesen. Nichts Ernsthaftes. Nichts Sentimentales. Nur eine gnädige Unterbrechung. Ein kurzes Blinken des Cursors, bevor wir die alten Geschichten wiederaufnahmen.
Aber es war herrlich. Ich schenkte mich Lawrence rückhaltlos, wie ich es bei Andrew nie getan hatte. Es geschah mühelos, ohne jede Anstrengung. Ich weinte, wenn wir uns liebten. Es passierte einfach; es war nicht gespielt. Ich hielt ihn fest, bis meine Arme wehtaten, und die Zärtlichkeit steigerte sich ins Unerträgliche. Ich ließ es ihn nie wissen. Ich ließ ihn auch nicht wissen, dass ich durch sein Blackberry scrollte, während er schlief, seine E-Mails las, seine Gedanken las. Als ich die Affäre begann, hätte es wohl jeder beliebige Mann sein können. Die Affäre war unvermeidlich, nicht der Mann. Doch allmählich begann ich ihn zu lieben. Mir wurde klar, dass eine Affäre zu haben ein relativ kleiner Fehltritt war. Doch um Andrew tatsächlich zu entkommen, tatsächlich ich selbst zu werden, musste ich auch den letzten Schritt tun und mich verlieben. Und wieder kostete es mich keine Mühe, mich in Lawrence zu verlieben. Ich musste mich nur fallenlassen. Ich bin dabei vollkommen sicher, sagte ich mir. Die Psyche ist dafür geschaffen, den Schock eines solchen Sturzes aufzufangen.
Ich weinte noch immer, wenn wir uns liebten, doch nun weinte ich auch, wenn wir es nicht konnten.
Die Affäre zu verbergen bereitete mir allmählich Sorgen. Die eigentlichen Treffen hielt ich natürlich vor Andrew geheim und erwähnte Andrew oder dessen Arbeit niemals, wenn ich mit Lawrence zusammen war, damit er nicht neugierig wurde. Ich zog einen hohen Zaun um die Affäre. In Gedanken erklärte ich sie zum eigenen Hoheitsgebiet und wachte unbarmherzig über ihre Grenzen.
Die unbestreitbare Veränderung an mir konnte ich jedoch nicht so leicht verbergen. Ich fühlte mich wunderbar. Noch nie war ich weniger vernünftig, weniger ernsthaft, weniger »Surrey« gewesen. Meine Haut begann zu strahlen. Es war so offensichtlich, dass ich es mit Make-up zu verdecken suchte, vergeblich: Ich schimmerte förmlich vor joie de vivre. Ich ging wieder auf Partys, was ich zuletzt mit Anfang zwanzig gemacht hatte. Lawrence schmuggelte mich in alle Veranstaltungen des Innenministeriums. Der neue Innenminister liebte den Kontakt zu den Medien und verkündete gern bei Häppchen, wie hart er durchgreifen werde. Es gab unzählige Abendempfänge und Partys danach. Ich lernte ganz neue Leute kennen. Schauspieler, Maler, Unternehmer. Ich spürte ein Kribbeln, wie ich es seit meiner Begegnung mit Andrew nicht mehr erlebt hatte - ein Kribbeln, das dem Wissen entsprang, dass ich
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