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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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am Strand nachzudenken. Ich dachte, er hätte es verdrängt, aber das stimmt nicht. Er hat Recherchen gemacht. Er hatte sicher zwei Dutzend Ordner in seinem Büro. Lauter Sachen über Nigeria. Über die Ölkriege und die Gräueltaten. Und ... na ja, ich hatte keine Ahnung, wie viele Menschen wie du nach Großbritannien gekommen sind, nachdem in ihren Dörfern solche Sachen geschehen waren. Andrew hatte eine ganze Mappe voller Dokumente über Asyl und Abschiebung.«
    »Hast du sie gelesen?«
    Sarah kaute auf ihrer Lippe. »Nicht viel. Es hätte für einen ganzen Monat gereicht. Außerdem hatte er jedem Dokument eigene Notizen angefügt. Er war sehr gründlich. Typisch Andrew. Es war zu spät in der Nacht, um alles durchzulesen. Wie lange haben sie dich in diesem Abschiebegefängnis festgehalten, Bee?«
    »Zwei Jahre.«
    »Kannst du mir erzählen, wie es war?«
    »Das solltest du besser nicht wissen. Es ist nicht deine Schuld, dass ich dort war.«
    »Erzähl es mir. Bitte.«
    Ich seufzte, weil mir beim Gedanken an diesen Ort das Herz schwer wurde.
    »Als Erstes musste man seine Geschichte aufschreiben. Sie gaben einem ein rosa Formular, auf das man schreiben sollte, was einem passiert war. Das war die Grundlage für den Asylantrag. Man musste sein ganzes Leben auf ein Blatt Papier bringen. Um das Blatt war eine schwarze Linie, ein Rand, und wenn du über den Rand hinaus geschrieben hast, war dein Antrag ungültig. Der Platz reichte nur dafür, die allertraurigsten Dinge aufzuschreiben, die dir passiert waren. Das war am schlimmsten. Denn wenn man nicht die schönen Dinge lesen kann, die jemandem in seinem Leben passiert sind, warum sollten einen dann die traurigen kümmern? Verstehst du? Darum mögen die Leute uns Flüchtlinge nicht. Sie denken nur an die tragischen Zeiten in unserem Leben und halten uns für tragische Leute. Ich war eine der wenigen, die Englisch schreiben konnten, also habe ich die Anträge für alle anderen geschrieben. Ich musste mir ihre Geschichte anhören und ihr ganzes Leben in den Rahmen quetschen, selbst bei den Frauen, deren Geschichten größer sind als ein Blatt Papier. Danach warteten alle auf den Bescheid. Wir bekamen keine Informationen. Das war am schlimmsten. Niemand hatte ein Verbrechen begangen, aber man wusste nicht, ob man morgen oder nächste Woche oder nie entlassen wird. Dort drinnen gab es sogar Kinder, die konnten sich gar nicht mehr an das Leben vor der Abschiebehaft erinnern. Vor den Fenstern waren Gitterstäbe. Sie ließen uns am Tag dreißig Minuten nach draußen, außer es regnete. Wenn man Kopfschmerzen hatte, konnte man um ein Paracetamol bitten, aber man musste es vierundzwanzig Stunden im Voraus beantragen. Dafür gab es ein spezielles Formular. Und ein weiteres, wenn man eine Binde benötigte. Einmal wurde das Abschiebegefängnis inspiziert. Vier Monate später sahen wir den Bericht der Inspektoren. Er hing an einer Tafel, auf der Offizielle Mitteilungen stand. Sie hing am Ende eines Flurs, den keiner benutzte, weil er zum Ausgang führte, und der war verschlossen. Eines der anderen Mädchen fand die Tafel, als sie auf der Suche nach einem Fenster war, aus dem sie hinausschauen konnte. Im Bericht stand: Wir müssen eine Reihe von demütigenden Prozeduren konstatieren. Es ist nicht nachvollziehbar, wie jemand mit Monatsbinden Missbrauch treiben sollte.«
    Sarah schaute zu Lawrence und Charlie hinüber, die lachten und mit Stöcken kickten. Als sie weitersprach, war ihre Stimme ruhig. »Ich nehme an, Andrew hat ein Buch geplant. Vermutlich hat er deshalb so viel Material gesammelt. Es war zu viel Recherche für einen einzigen Artikel.«
    »Hast du das auch Lawrence gesagt?«
    Sarah nickte. »Ich sagte, vielleicht sollte ich Andrews Arbeit weiterführen. Seine Notizen lesen. Ein bisschen mehr über die Abschiebegefängnisse herausfinden. Vielleicht, na ja, vielleicht sogar selbst das Buch schreiben.«
    »Und deswegen ist er wütend geworden?«
    »Er ist richtig ausgerastet.« Sarah seufzte. »Ich glaube, er ist eifersüchtig auf Andrew.«
    Ich nickte langsam und sagte: »Bist du sicher, dass du mit Lawrence zusammen sein willst?«
    Sie schaute mich scharf an. »Ich weiß, was du sagen willst. Dass er mehr an sich denkt als an mich. Dass ich auf der Hut sein soll. Und ich sage dir, dass Männer eben so sind, aber du bist zu jung, um das zu wissen, und daher werden wir uns auch streiten, und dann bin ich wirklich unglücklich. Also sag es lieber nicht, okay?«
    Ich

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