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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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An den Türen wuchsen Pilze. Der Jeep stand mit der Rückseite zu mir, und ich ging näher heran.
    Ich sah, dass Dschungel und Jeep zusammengewachsen waren, so dass man nicht mehr erkennen konnte, wo der eine aufhörte und der andere begann - ob der Dschungel nun aus dem Jeep oder der Jeep aus dem Dschungel herauswuchs. Der Fußraum war mit dem verrotteten Laub vieler Jahreszeiten gefüllt, und das Metall hatte die gleiche dunkle Farbe angenommen wie das welke Laub und die Erde. Quer über den Vordersitzen lag das Skelett eines Mannes. Zuerst bemerkte ich es nicht, weil seine Kleider die gleiche Farbe hatten wie das Laub, doch die Kleidung war so zerrissen und zerlumpt, dass die weißen Knochen im frühen Morgenlicht hindurchschimmerten. Es sah aus, als wäre das Skelett das Fahren leid gewesen und hätte sich zum Schlafen quer über die Sitze gelegt. Der Schädel ruhte auf dem Armaturenbrett, ein kleines Stück vom übrigen Skelett entfernt. Er blickte zu einem hellen Fleckchen Himmel hinauf, das hoch über uns durch einen Spalt im Baldachin des Waldes sichtbar war. Das weiß ich, weil der Schädel eine Sonnenbrille trug und der Himmel sich in einem der Gläser spiegelte. Eine Schnecke war über das Glas gekrochen und hatte den grünen Schimmel und Schmutz weggefressen. In der schimmernden Spur dieses Geschöpfes spiegelte sich der Himmel. Nun war die Schnecke schon auf halbem Weg über einen Brillenbügel gekrochen. Ich ging näher heran. Die Sonnenbrille hatte ein schmales goldenes Gestell. In der Ecke des Glases, in dem sich der Himmel spiegelte, stand Ray-Ban. Das hielt ich für den Namen des Mannes, denn ich war noch klein und war noch nicht meinem Unglück begegnet und wusste nicht, dass es einen Grund geben konnte, einen anderen Namen als den eigenen zu tragen.
    Ich stand da und schaute lange Zeit auf Ray Bans Schädel, sah mein eigenes Spiegelbild in seinen Brillengläsern. Ich sah mich in der Landschaft meines Landes: ein kleines Mädchen mit hohen, dunklen Bäumen und einem Fleckchen Sonnenlicht. Ich starrte lange hin, und der Schädel wandte sich nicht ab und ich auch nicht, und ich begriff, dass es immer so für mich sein würde.
    Nach ein paar Minuten kehrte ich zu meiner Schwester zurück. Die Äste schlossen sich hinter mir. Ich verstand nicht, weshalb der Jeep dort war. Ich wusste nicht, dass es vor fast dreißig Jahren in meinem Land Krieg gegeben hatte. Der Krieg, die Straßen, die Befehle - all das, was den Jeep an diesen Ort geführt hatte, war vom Dschungel überwuchert. Ich war acht Jahre alt und dachte, der Jeep sei aus dem Boden gewachsen, so wie die Farne und hohen Bäume um uns herum. Ich dachte, er wäre ganz natürlich aus der roten Erde meines Landes gewachsen und gehörte hierher wie die Cassava. Und ich wusste, dass meine Schwester ihn nicht sehen sollte.
    Ich kehrte zurück an die Stelle, wo Nkiruka noch immer schlief. Ich streichelte ihr über die Wange. Wach auf, sagte ich. Das Licht ist wieder da. Jetzt finden wir den Weg nach Hause. Nkiruka lächelte und setzte sich auf. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen. Na bitte, sagte sie. Habe ich dir nicht gesagt, die Dunkelheit würde nicht ewig dauern?
    »Alles in Ordnung?«, fragte Sarah.
    Ich blinzelte und schaute mich in der Küche um. Die Schlingpflanzen zogen sich von den sauberen weißen Wänden und dem Küchentisch in die dunkelsten Winkel des Raumes zurück.
    »Es sah aus, als wärst du ganz weit weg.«
    »Entschuldigung. Ich bin noch nicht ganz wach.«
    Sarah lächelte. »Ich habe gesagt, lasst uns ein Abenteuer erleben.«
    Charlie schaute hoch. »Gehn wir zu Gotham City?«
    Sarah lachte. »Nach Gotham City. Nein, Batman, wir gehen in den Park.«
    Charlie sackte auf dem Boden zusammen. »Will nicht in den Park.«
    Ich kniete mich neben ihn. »Batman, im Park gibt es Bäume und viele alte Äste auf dem Boden.«
    »Und?«
    »Wir können aus den Ästen Gotham City bauen.«
    Charlie kratzte sich hinter einem Fledermausohr. »Mit meinem Bat-Kran?«
    »Und deinen Superkräften.«
    Charlie grinste. »Ich will zum Park!«
    »Na komm, mein kleiner Kreuzritter«, sagte Sarah. »Auf zum Batmobil.«
    Lawrence saß vorn mit Sarah, und ich stieg hinten mit Charlie ein. Wir fuhren durch das Tor des Richmond Parks und einen steilen Hang hinauf. Zu beiden Seiten der schmalen Straße wiegte sich hohes Gras im Wind, und Hirsche hoben die Köpfe, um uns anzuschauen. Sarah hielt auf einem Parkplatz neben einem Eisverkäufer.
    »Nein, Batman. Bevor

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