Little Brother
jedes Internet-Protokoll für solch ein Vorgehen nutzbar. Das ist cool, weil es bedeutet, dass du in einem Netzwerk mit reinem WWW-Zugang deine Mails darüber tunneln kannst; du kannst dein Lieblings-P2P drüber tunneln; und du könntest sogar das Xnet drüber tunneln, das ja seinerseits bereits einen Tunnel für Dutzende Protokolle darstellt.
Domain Name Service ist ein interessantes, steinaltes Internet-Protokoll aus dem Jahr 1983. Es beschreibt die Art und Weise, wie dein Computer den Namen eines anderen Computers (zum Beispiel pirateparty.org.se) in die IP-Adresse auflöst, unter der sich Computer in Wirklichkeit im Netzwerk gegenseitig finden, zum Beispiel 204.11.50.136. Das funktioniert normalerweise wie geschmiert, obwohl das System Millionen beweglicher Teile umfasst - jeder Internet-Provider unterhält einen DNS-Server, genau wie die meisten Regierungen und jede Menge privater Anwender. Diese DNS-Kisten unterhalten sich ununterbrochen alle miteinander, stellen einander Anfragen und beantworten sie; und völlig egal, wie abseitig der Name ist, den du aufrufen willst, das System wird ihn in eine Nummer auflösen können.
Vor DNS gab es die HOSTS-Datei. Ob ihrs glaubt oder nicht: Das war ein einzelnes Dokument, das den Namen und die Adresse von jedem einzelnen Computer im Internet enthielt. Jeder Computer hatte eine Kopie davon. Die Datei wurde irgendwann zu umfangreich, um sie noch handhaben zu können; deshalb wurde DNS erfunden, und es lebte auf einem Server unter Jon Postels Schreibtisch. Wenn die Putzkolonne den Stecker rauszog, dann verlor das gesamte Internet seine Fähigkeit, sich selbst zu finden. Ehrlich.
Heute ist an DNS vor allem schick, dass es überall ist. Jedes Netzwerk hat einen eigenen DNS-Server, und all diese Server sind so konfiguriert, dass sie miteinander und mit allen möglichen Leuten überall im Internet Verbindung aufnehmen können.
Masha nun hatte einen Weg gefunden, ein Videostream-System über DNS zu tunneln. Sie teilte das Video in Milliarden von Einzelteilen auf und versteckte jedes einzelne in einer normalen Nachricht an einen DNS-Server. Indem ich ihren Code nutzte, konnte ich das Video in unglaublichem Tempo von all diesen überall im Internet verteilten DNS-Servern wieder zusammenpuzzeln. Das musste in den Netzwerk-Histogrammen bizarr aussehen - als ob ich sämtliche Computer-Adressen der ganzen Welt nachschlagen würde.
Aber es hatte zwei Vorteile, die mir auf Anhieb einleuchteten: Ich bekam das Video in rasantem Tempo auf den Schirm - kaum hatte ich auf den ersten Link geklickt, hatte ich schon bildschirmfüllende, absolut ruckelfreie Bewegtbilder -, und ich hatte keine Ahnung, wo die Filme gehostet waren. Es war vollkommen anonym.
Den Inhalt des Videos nahm ich zuerst gar nicht zur Kenntnis. Ich war einfach zu überwältigt davon, wie clever dieser Hack war. Videos über DNS streamen? Das war so klug und abseitig, es war regelrecht pervers.
Aber allmählich begriff ich, was ich da sah.
Es war ein Besprechungstisch in einem kleinen Raum mit einem Spiegel an einer Wand. Ich kannte diesen Raum. In diesem Raum hatte ich gesessen, als mich Frau Strenger Haarschnitt dazu brachte, mein Passwort laut auszusprechen. Um den Tisch herum standen fünf komfortable Stühle, auf denen es sich fünf Personen, alle in DHS-Uniformen, gemütlich gemacht hatten. Ich erkannte Generalmajor Graeme Sutherland, den DHS-Kommandeur für die Bay Area, sowie Strenger Haarschnitt. Die anderen waren mir unbekannt. Sie alle betrachteten einen Videomonitor am Ende des Tischs, auf dem ein unendlich viel vertrauteres Gesicht zu sehen war.
Kurt Rooney war landesweit bekannt als der Chefstratege des Präsidenten, der Mann, der der Partei ihre dritte Amtszeit in Folge gesichert hatte und jetzt stramm auf die vierte zusteuerte. Man nannte ihn auch "Ruppig", und ich hatte mal eine Reportage darüber gesehen, an welch kurzen Zügeln er seine Mitarbeiter hielt: Er rief sie ständig an, schickte Instant Messages, beobachtete jede ihrer Bewegungen, kontrollierte jeden Schritt. Er war alt, hatte ein zerfurchtes Gesicht, blassgraue Augen, eine flache Nase mit breit ausgestellten Nasenlöchern und dünne Lippen - ein Mann, der ständig so aussah, als hätte er gerade einen sehr strengen Geruch in der Nase.
Er war der Mann auf dem Monitor. Er redete, und jeder im Raum war auf den Monitor fixiert, versuchte hektisch mitzutippen und dabei schlau auszusehen.
"... sagen, dass sie auf die Behörden wütend sind,
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