Little Brother
einen Umhang anzulegen und in Hotels rumzuhängen, um so zu tun, als sei ich ein unsichtbarer Vampir, der von jedermann angestarrt wurde.
Das ist kompliziert, aber nicht halb so bizarr, wie es klingt. Die Live-Action-Rollenspielszene verbindet die besten Seiten von "Dungeons & Dragons" mit Drama Club und Science-Fiction-Conventions.
Es ist mir klar, dass das für euch nicht ganz so anziehend klingt wie für mich, als ich vierzehn war.
Die besten Spiele waren die in den Pfadfinderlagern außerhalb der Stadt: Hundert Teenager, Jungs und Mädchen, die sich mit dem Freitagabend-Verkehr abplagten, Geschichten tauschten, auf Handheld-Konsolen spielten und stundenlang auf den Putz hauten. Und sich dann im Gras vor einer Gruppe älterer Männer und Frauen in knallharten selbstgemachten Rüstungen aufstellten, Rüstungen mit Dellen und Kratzern, wie sie früher ausgesehen haben mussten, nicht so wie die Rüstungen im Kino, sondern so wie Soldatenuniformen nach einem Monat im Feld.
Diese Leute wurden pro forma dafür bezahlt, die Spiele zu leiten, aber solche Jobs bekamst du nur, wenn du die Sorte Mensch warst, der das auch für lau machen würde. Wir waren auf Basis der Fragebögen, die wir im Vorfeld ausgefüllt hatten, in Gruppen eingeteilt worden, und nun wurden wir unseren Teams zugeordnet, ganz wie bei der Seitenverteilung beim Baseball.
Dann bekamen wir unsere Briefings. Die waren so ähnlich wie die Briefings, die Spione in Filmen bekommen: Hier ist deine Identität, hier ist dein Auftrag, und das hier sind die Geheimnisse, die du über die Gruppe weißt.
Danach war Essenszeit: Feuer prasselte, Fleisch brutzelte am Spieß, in der Pfanne zischte das Tofu (das hier ist Nordkalifornien, hier ist die Veggie-Option nicht bloß optional), und die Tischsitten konnte man beim besten Willen nur als Zecherei bezeichnen.
Die eifrigsten Kids schalteten jetzt bereits auf ihren Rollenspiel-Charakter um. In meinem ersten Spiel war ich ein Zauberer. Ich hatte eine Tasche voller Bohnensäckchen, die Zaubersprüche darstellten - wenn ich einen warf, musste ich den Namen des Zaubers rufen, den ich anwenden wollte (Feuerball, magisches Geschoss, Lichtkegel), und der Spieler, das "Monster", auf den ich warf, musste hintenüber kippen, wenn ich traf. Oder auch nicht - manchmal mussten wir einen Schiedsrichter rufen, der dann vermittelte, aber die meiste Zeit waren wir ziemlich gut im Fairplay. Erbsenzähler mochte keiner leiden.
Bis zur Schlafenszeit waren wir alle voll in unseren Rollen drin. Mit vierzehn wusste ich zwar noch nicht sicher, wie so ein Zauberer klingen musste, aber ich hatte meine Anregungen aus Filmen und Büchern. Ich sprach in langsamen, gemessenen Sätzen, wahrte einen angemessen mystischen Gesichtsausdruck und dachte mystische Gedanken.
Die Aufgabe war knifflig: Es ging darum, eine heilige Reliquie wiederzubeschaffen, die von einem Menschenfresser gestohlen worden war, der die Leute des Landes seinem Willen unterjochte. Aber im Grunde war das nicht so wichtig. Wichtig war für mich, dass ich eine private Mission hatte, nämlich einen bestimmten Typ Kobold zu fangen und zu meinem Vertrauten zu machen, und dass ich einen geheimen Gegenspieler hatte, einen anderen Spieler im Team, der früher, als ich ein Kind war, an einem Angriff teilgenommen hatte, bei dem meine Familie umgebracht wurde, und der nicht wusste, dass ich zurückkommen würde, um Rache zu nehmen. Und natürlich war irgendwo noch ein anderer Spieler, der ähnlichen Zorn gegen mich hegte, sodass ich bei all der angenehmen Kameradschaft im Team immer auch darauf achten musste, ob jemand versuchte, mir ein Messer in den Rücken zu rammen oder Gift ins Essen zu streuen.
Die nächsten zwei Tage lang spielten wir die Sache aus. Teile des Wochenendes waren wie Versteckspielen, andere waren wie Survivaltraining in der Wildnis, und wieder andere waren wie Kreuzworträtsellösen. Die Spielleiter hatten ihren Job toll gemacht. Und es entwickelten sich echte Freundschaften mit den anderen Leuten in der eigenen Mission. Darryl war das Opfer meines ersten Mordes, und ich kniete mich echt rein, obwohl er mein Kumpel war. Netter Kerl; wirklich schade, dass ich ihn töten musste.
Ich erwischte ihn mit einem Feuerball, während er die Beute checkte, nachdem wir eine Horde von Orks plattgemacht hatten, indem wir mit jedem Ork eine Runde Schere-Stein-Papier spielten, um auszumachen, wer den Kampf gewinnen würde. Das ist viel spannender, als es klingt.
Das war wie
Weitere Kostenlose Bücher