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Little Brother

Little Brother

Titel: Little Brother Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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also unsichtbar, an die Wand gelehnt herum, als er sich näherte und mich in holprigem Englisch fragte, was meine Freunde und ich denn an diesem Wochenende hier so trieben.
    Ich versuchte ihn loszuwerden, aber er ließ nicht locker. Also dachte ich, ich könne mir ja einfach was ausdenken, damit er endlich verschwände.
    Ich ahnte nicht, dass er meine Story drucken würde. Und ich ahnte noch viel weniger, dass es von der amerikanischen Journaille aufgegriffen werden würde.
    "Wir sind hier, weil unser Prinz gestorben ist, deshalb mussten wir auf der Suche nach einem neuen Herrscher hierher kommen."
    "Ein Prinz?"
    "Ja", sagte ich und gewann Gefallen an der Sache. "Wir sind das Alte Volk. Wir sind im 16. Jahrhundert nach Amerika eingewandert, und seither lebte unsere königliche Familie ununterbrochen in der Wildnis von Pennsylvania. Wir leben unter einfachen Bedingungen im Wald, und wir benutzen keinerlei moderne Technik. Doch der Prinz war der Letzte seiner Abstammungslinie, und er ist vorige Woche gestorben. Eine furchtbare auszehrende Krankheit hat ihn von uns genommen. Die jungen Männer meines Clans sind aufgebrochen, die Nachkommen seines Großonkels zu finden, der zur Zeit meines Großvaters davongegangen war, um sich den modernen Menschen anzuschließen. Man sagt, er habe sich fortgepflanzt, und wir werden den Letzten seiner Linie finden und zurück in seine rechtmäßige Heimat bringen."
    Ich las damals eine Menge Fantasy-Romane. Solches Zeug flog mir nur so zu.
    "Wir fanden eine Frau, die um jene Abkömmlinge wusste. Sie sagte uns, einer von ihnen sei in diesem Hotel anzutreffen, und so sind wir gekommen, ihn zu finden. Jedoch hat ein rivalisierender Clan unsere Spur hierher verfolgt, um uns davon abzuhalten, unseren Prinzen heimzubringen, um uns in Schwäche und leicht beherrschbar zu halten. Daher ist es überlebensnotwendig, dass wir unter uns bleiben. Wir reden nur mit dem Neuen Volk, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Jetzt mit Ihnen zu sprechen bereitet mir großes Unbehagen."
    Er beobachtete mich abschätzend. Ich hatte meine Arme nicht mehr gekreuzt, daher war ich für rivalisierende Vampire jetzt sichtbar; und eine von ihnen hatte sich heimlich an uns herangeschlichen. Ich drehte mich im letzten Moment um und sah sie mit ausgebreiteten Armen und zischelnd auf uns zukommen, eine Vampirin im ganz großen Stil.
    Ich breitete meine Arme weit aus und zischelte zurück, dann verschwand ich durch die Empfangshalle, wobei ich über ein Ledersofa sprang und mich an einer Topfpflanze vorbeischlängelte, die Vampirin immer hinter mir her. Einen Fluchtplan durchs Treppenhaus ins Fitnessstudio im Untergeschoss hatte ich vorher schon ausgetüftelt, und dort schüttelte ich sie ab.
    Den Journalisten sah ich an diesem Wochenende nicht mehr, aber ich erzählte die Story einigen anderen LARPern weiter, die sie weiter ausschmückten und keine Gelegenheit ausließen, sie wiederum weiterzutragen.
    Das italienische Magazin hatte eine Mitarbeiterin, die ihre Magisterarbeit über technikfeindliche Amish-Gemeinschaften im ländlichen Pennsylvania geschrieben hatte, und sie fand uns unglaublich interessant. Auf der Grundlage der Notizen und Interview-Aufzeichnungen ihres Chefs aus San Francisco schrieb sie eine faszinierende, herzzerreißende Geschichte über diese merkwürdigen jugendlichen Kult-Angehörigen, die auf der Suche nach ihrem "Prinzen" kreuz und quer durch Amerika reisten. Verdammt, die Leute drucken heutzutage wirklich alles.
    Aber die Sache war die, dass Geschichten wie diese aufgegriffen und weiterverbreitet werden. Zuerst waren es italienische Blogger, dann ein paar amerikanische Blogger. Leute überall im Land berichteten über "Sichtungen" von Angehörigen des Alten Volkes, wobei ich bis heute nicht weiß, ob das ausgedacht war oder ob andere dasselbe Spiel spielten.
    So arbeitete sich die Story durch die Medien-Nahrungskette bis hoch zur "New York Times", die leider einen ungesunden Appetit für Faktenrecherche hat. Der Reporter, den sie auf die Sache ansetzten, führte sie schließlich auf das Monaco Hotel zurück, wo man ihn an die LARP-Organisatoren verwies, die ihm dann lachend die ganze Geschichte erzählten.
    Nun ja - ab da war LARPing sehr viel weniger cool. Wir wurden bekannt als die größten Schummler der Nation, als durchgeknallte pathologische Lügner. Die Presseleute, die wir unbeabsichtigt dazu gebracht hatten, die Story des Alten Volkes zu covern, waren nun erpicht drauf, sich selbst

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