Little Brother
weiße Schminke im Gesicht, ausgefeiltes Kabuki-Augen-Make-up, und an ihren Fingern und am Hals prangte Silberschmuck.
"Du siehst TOLL aus!", sagten wir wie aus einem Mund, dann lachten wir still und machten uns durch die Straßen davon, Sprühdosen in unseren Taschen.
Während ich das Civic Center betrachtete, überlegte ich, wie es wohl dort aussehen würde, wenn es von 400 VampMobbern heimgesucht wurde. Ich erwartete sie ihn zehn Minuten außen vor der City Hall. Schon jetzt wimmelte es auf der großen Plaza von Pendlern, die fein säuberliche Bögen um die dort bettelnden Obdachlosen machten.
Ich habe das Civic Center schon immer gehasst. Es ist eine Ansammlung von Hochzeitstorten-Bauwerken: Gerichtsgebäude, Museen und öffentliche Gebäude wie die City Hall. Die Bürgersteige sind breit, die Gebäude sind weiß. Irgendwie schaffen sie es, dass der Komplex auf Fotos für die Reiseführer von San Francisco wie das Epcot Center aussieht, futuristisch und streng.
Aber aus der Nähe ist es schmuddelig und eklig. Auf allen Bänken schlafen Obdachlose. Das Viertel ist spätestens abends um sechs leer, Betrunkene und Junkies ausgenommen; denn da es dort nur eine einzige Sorte Gebäude gibt, gibt es überhaupt keinen Grund, nach Sonnenuntergang noch rumzuhängen. Es ist eher ein Einkaufszentrum als ein Wohnviertel, aber die einzigen Geschäfte dort sind Kautionsvermittler und Spirituosenläden, also Angebote für die Familien der Ganoven, die hier vor Gericht stehen, und die Penner, die hier ihre nächtliche Wohnstätte haben.
So richtig verstand ich das alles, als ich ein Interview mit einer erstaunlichen alten Stadtplanerin las, einer Frau namens Jane Jacobs, die mir als erste wirklich begreiflich machen konnte, warum es falsch war, die Städte mit Autobahnen zu zerteilen, alle Armen in Wohnungsprojekte zu stecken und streng gesetzlich zu regeln, wer was wann wo tun durfte.
Jacobs erklärte, dass wirkliche Städte organisch sind und eine Menge Vielfalt aufweisen - Reich und Arm, Weiß und Braun, Anglo und Mex, Einzelhandel und Wohnen und sogar Industrie. Solch ein Viertel wird von allen Arten von Menschen zu sämtlichen Tages- und Nachtstunden besucht, deshalb siedeln sich dort Geschäfte an, die jeden denkbaren Bedarf decken, und du hast dort rund um die Uhr Leute, die ganz von selbst über die Straßen wachen.
Ihr kennt das sicherlich. Spaziert mal durch einen älteren Teil eurer Stadt, und ihr werdet merken, dass er voll mit den coolsten Geschäften ist, mit Typen in Anzügen oder edelschlampig, gehobenen Restaurants und schicken Cafés, vielleicht einem kleinen Kino, mit liebevoll gestrichenen Häusern. Sicher wirds da auch einen Starbucks geben, aber eben auch einen hübschen kleinen Obst- und Gemüse-Markt und eine Floristin, die dreihundert Jahre alt zu sein scheint und sorgfältig an den Blumen in ihren Fenstern schnipselt. Das ist das Gegenteil von geplantem Raum wie etwa einem Einkaufszentrum. Es fühlt sich eher an wie ein verwilderter Garten oder ein Wald: als wäre es gewachsen.
Man könnte nicht weiter davon entfernt sein als im Civic Center. Ich las dieses Interview mit Jacobs, in dem sie über das wundervolle alte Viertel sprach, das sie dafür abgerissen hatten. Es war genau diese Sorte Viertel gewesen, diese Art Ort, die einfach geschah - ohne explizite Erlaubnis, ohne Sinn und Verstand.
Jacobs erzählte, sie habe vorhergesagt, dass das Civic Center binnen weniger Jahre eines der schlimmsten Viertel der Stadt werden würde, eine Geisterstadt bei Nacht, ein Ort, an dem nur ein paar klapprige Läden für Säuferbedarf und schäbige Motels eine Existenzgrundlage finden würden. Sie erweckte im Interview nicht den Eindruck, als freue sie sich darüber, von der Realität bestätigt worden zu sein; viel eher klang es, als spreche sie über einen toten Freund, als sie beschrieb, was aus dem Civic Center geworden war.
Aber jetzt war Rushhour, und das Civic Center war denkbar belebt. Die dortige BART ist zugleich ein Knotenpunkt mehrerer Straßenbahnlinien, und wenn du von einer zur anderen wechseln musst, tust du es hier. Morgens um acht kamen Tausende Leute die Treppen hoch, liefen die Treppen runter, stiegen in Taxis und Busse ein und aus. Bei den DHS-Checkpoints an den diversen öffentlichen Gebäuden knubbelten sie sich, um aggressive Bettler machten sie große Bögen. Alle rochen sie nach ihren Shampoos und Deos, frisch geduscht und in der Rüstung ihrer Bürokluft, mit Laptoptaschen und
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