Little Brother
trug, der aussah wie aus einem Schultheaterstück über Renaissance-Schwertkämpfer. Zu einem bestimmten Zeitpunkt gluckten sie alle aufeinander, schauten dann hinten aus dem Bus raus, gestikulierend und gickelnd. Das Mädchen, das jetzt den Hut trug, hatte annähernd dieselbe Größe wie Van, und von hinten würde sie als Van durchgehen.
Niemand achtete auf das kleine asiatische Mädchen, das ein paar Haltestellen vor der BART ausstieg. Sie war in eine ganz gewöhnliche Schuluniform gekleidet und schaute schüchtern zu Boden, als sie ausstieg. Außerdem gab just in diesem Moment die laute Koreanerin einen Aufschrei von sich, den ihre Freundinnen aufgriffen und so laut lachten, dass selbst der Busfahrer langsamer wurde, sich im Sitz umdrehte und ihnen einen schmutzigen Blick zuwarf.
Van eilte mit gesenktem Kopf die Straße hinunter, das Haar zurückgebunden und über den Kragen ihrer altmodischen Ballonjacke fallend. Sie trug Einlagen in ihren Schuhen, die sie fünf wacklige Zentimeter größer machten, sie hatte ihre Kontaktlinsen herausgenommen und gegen ihre meistgehasste Brille getauscht, deren riesige Gläser ihr halbes Gesicht einnahmen. Obwohl ich an der Bushaltestelle auf sie gewartet und gewusst hatte, wann ich sie zu erwarten hatte, hätte ich sie fast nicht erkannt. Ich stand auf und folgte ihr mit einem halben Block Abstand über die Straße.
Die Leute, die mir begegneten, schauten so schnell wie möglich weg. Ich sah aus wie ein junger Obdachloser mit meinem schmuddeligen Pappschild, dem speckigen Mantel und dem riesigen Ranzen, der an den Kanten mit Ducktape geflickt war. Niemand will einen Straßenjungen anschauen, denn wenn du seinem Blick begegnest, bettelt er dich womöglich um Kleingeld an. Ich war den ganzen Nachmittag in Oakland rumgestromert, und die einzigen Leute, die mich angesprochen hatten, waren ein Zeuge Jehovas und ein Scientologe gewesen, die mich beide hatten bekehren wollen. Das fühlte sich eklig an, wie von einem Perversen angebaggert zu werden.
Van folgte den Anweisungen, die ich aufgeschrieben hatte, sehr sorgfältig. Zeb hatte sie ihr auf demselben Wege zukommen lassen wie mir damals vor der Schule - er war in sie reingerannt und hatte sich überschwänglich entschuldigt. Ich hatte die Nachricht kurz und knapp gehalten, nur rasch umrissen, was ich wollte: Ich weiß, du bist nicht damit einverstanden. Ich verstehe das. Aber das ist es nun mal, es ist der wichtigste Gefallen, den ich jemals von dir erbeten habe. Bitte. Bitte.
Sie war gekommen. Ich hatte gewusst, dass sie kommen würde. Wir beide hatten eine Menge gemeinsamer Geschichte. Und sie mochte es auch nicht, was mit der Welt passiert war. Und im Übrigen sagte mir eine böse, hämisch glucksende Stimme in meinem Kopf, dass auch sie jetzt, da Barbaras Artikel erschienen war, unter Verdacht stand.
So gingen wir sechs, sieben Blöcke weit, achteten darauf, wer in unserer Nähe war, welche Autos vorbeifuhren. Zeb hatte mir von Fünferketten erzählt, bei denen fünf verschiedene Verdeckte sich dabei abwechselten, dir zu folgen, was es nahezu unmöglich machte, sie zu bemerken. Du musstest schon in eine völlig verlassene Gegend gehen, wo einfach jeder einzelne Mensch klar zu erkennen war.
Die Überführung für die 880 war nur ein paar Blöcke weit von der BART-Station Coliseum entfernt, und selbst wenn man so viele Schlenker machte wie Van, hatte man sie schnell erreicht. Der Lärm von oben war ohrenbetäubend. Niemand sonst war hier, soweit ich das erkennen konnte. Ich war hier gewesen, bevor ich die Location in meiner Nachricht an Van vorgeschlagen hatte, um zu checken, ob es Ecken gäbe, in denen sich jemand verstecken konnte. Es gab keine.
Sobald sie am vereinbarten Platz stehengeblieben war, ging ich schneller, um zu ihr zu gelangen. Sie blinzelte mich mit großen Augen hinter der Brille an.
"Marcus", wisperte sie, und Tränen schimmerten in ihren Augen. Ich bemerkte, dass ich ebenfalls weinte. Mann, ich gab einen lausigen Flüchtling ab. Zu sentimental.
Sie umarmte mich so stürmisch, dass ich keine Luft mehr bekam, und ich umarmte sie noch heftiger.
Dann küsste sie mich.
Nicht auf die Wange, nicht wie eine Schwester. Voll auf die Lippen, ein heißer, feuchter, dampfender Kuss, der nie mehr zu enden schien. Ich war von meinen Gefühlen so übermannt...
Ach Quatsch. Ich wusste genau, was ich tat. Ich erwiderte den Kuss.
Dann hörte ich auf und trat zurück, fast schubste ich sie zurück. "Van", keuchte
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