Little Brother
mussten auch ihre Methoden haben, rauszukriegen, was los war, woher man Farbe kriegte und welche Kameras funktionierten. Einige Kameras, merkte ich, waren einfach übergesprüht.
Vielleicht benutzten sie ja das Xnet!
In drei Meter hohen Buchstaben prangten am Bretterzaun eines Schrottplatzes die Worte: TRAU NIEMANDEM ÜBER 25.
Ich hielt an. War wohl jemand gestern von meiner "Party" mit einer Farbdose hier vorbeigekommen? Ne Menge von den Leuten lebte hier im Viertel.
Ich holte meinen Kaffee und stratzte dann ein bisschen durch die Stadt. Dabei dachte ich die ganze Zeit, eigentlich müsste ich jemanden anrufen, ob wir uns einen Film ausleihen wollten oder so. So war es immer gewesen an faulen Samstagen wie heute. Aber wen sollte ich anrufen? Van redete nicht mit mir, ich glaubte nicht, schon wieder mit Jolu sprechen zu können, und Darryl...
Nun, Darryl konnte ich nicht anrufen.
Also holte ich noch einen Kaffee, ging heim und suchte ein bisschen in den Blogs im Xnet herum. Diese anonymen Blogs konnten keinem bestimmten Autor zugeordnet werden - es sei denn, der Autor war blöd genug, einen Namen drüberzuschreiben -, und es gab eine ganze Menge davon. Die meisten waren unpolitisch, etliche aber auch nicht. Dort schrieben sie über Schulen und wie unfair es dort war. Sie schrieben über die Bullen und übers Tagging.
Wie sich rausstellte, waren die Planungen für das Konzert im Park schon seit Wochen im Gang. Sie waren von Blog zu Blog gewandert, ohne dass ich was mitbekommen hatte. Und das Konzert stand unter dem Motto "Trau keinem über 25".
Nun, das erklärte, woher Ange es hatte. War ein guter Slogan.
Am Montagmorgen beschloss ich, mal wieder bei der Anarchistenbuchhandlung vorbeizuschauen und zu versuchen, eins dieser Emma-Goldman-Poster zu bekommen. Ich brauchte die Gedächtnisstütze.
Also nahm ich auf dem Weg zur Schule den Umweg die 16te runter in die Mission, dann Valencia hoch und rüber. Der Laden war zu, aber ich notierte mir die Öffnungszeiten und vergewisserte mich, dass sie das Poster noch hängen hatten.
Als ich Valencia runterstapfte, war ich erstaunt zu sehen, wie viel "Trau keinem über 25 "-Zeug hier zu sehen war. Die Hälfte der Läden hatte Trau-keinem-Devotionalien in den Fenstern: Brotdosen, Babydoll-Shirts, Stiftdosen, Truckerhüte. Die Trendsetterläden sind immer schneller geworden: Wenn sich neue Meme binnen ein, zwei Tagen übers Netz verbreiten, dann sind die Läden mittlerweile ganz gut darin, ruckzuck den passenden Merchandising-Kram ins Fenster zu hängen. Wenn du am Montag ein witziges Youtube-Filmchen über einen Typ, der sich aus Mineralwasserflaschen einen Düsenantrieb bastelt, in deiner Mail findest, kannst du davon ausgehen, am Dienstag die ersten T-Shirts mit Stills aus dem Video kaufen zu können.
Aber es war irre zu sehen, wie sich was aus dem Xnet in die Szeneläden ausbreitete. Zerfetzte Designerjeans, auf die der Slogan sorgfältig wie mit Tinte geschrieben war. Gestickte Aufnäher.
Gute Nachrichten verbreiten sich schnell.
Als ich in die Gesellschaftskundeklasse von Ms. Galvez kam, stand der Slogan an der Tafel. Wir saßen alle an unseren Tischen und grinsten ihn an, und er schien zurückzugrinsen. Es hatte was ungeheuer Befriedigendes zu denken, dass wir alle einander trauen konnten und dass der Feind identifizierbar war. Ich wusste, dass das nicht so ganz stimmte, aber es war eben auch nicht so ganz falsch.
Ms. Galvez kam rein, strich sich übers Haar, stellte ihr SchulBook auf den Tisch und schaltete es ein. Dann nahm sie ein Stück Kreide und drehte sich zur Tafel. Alles lachte. Gutmütig zwar, aber wir lachten.
Sie drehte sich wieder zu uns und lachte ebenfalls. "Sieht so aus, als ob die Sloganschreiber der Nation unter Inflation leiden. Wer von euch weiß denn, woher dieser Satz ursprünglich stammt?"
Wir schauten uns an. "Hippies?", fragte jemand, und wir lachten wieder. San Francisco ist voll von Hippies, von den alten Kiffern mit ihren Schmuddelbärten und Batikfummeln bis zu denen von heute, die sich mehr fürs Verkleiden und Footbag-Spielen interessieren als fürs Protestieren.
"Ja, Hippies. Aber wenn wir heute an Hippies denken, dann meist nur an ihre Kleidung und an die Musik. Aber Kleidung und Musik waren nur eine Begleiterscheinung von dem, was diese Ära, die Sechziger, so wichtig machte.
"Ihr habt schon von der Bürgerrechtsbewegung gehört, der es um die Abschaffung der Rassentrennung ging; weiße und farbige Jugendliche wie ihr, die
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