Little Brother
12
Ms. Galvez lächelte übers ganze Gesicht. "Weiß irgendwer, woher das kommt?" Ein vielstimmiger Chor antwortete: "Aus der Unabhängigkeitserklärung".
Ich nickte.
"Warum hast du uns das vorgelesen, Marcus?"
"Weil ich denke, die Gründer dieses Landes haben damit gesagt, dass Regierungen nur so lange an der Macht bleiben sollten, wie wir daran glauben, dass sie in unserem Interesse arbeiten, und wenn wir nicht mehr daran glauben, dann sollen wir sie aus dem Amt jagen. Das steht da doch, oder nicht?"
Charles schüttelte den Kopf. "Das ist Hunderte von Jahren her", sagte er. "Heute sind die Dinge anders!"
"Was ist anders?"
"Na ja, zum Beispiel haben wir keinen König mehr. Die Regierung, die die damals meinten, existierte doch bloß, weil der Urururgroßvater von irgendeinem Idioten glaubte, von Gott eingesetzt zu sein, und jeden tötete, der anderer Meinung war. Wir haben eine demokratisch gewählte Regierung..."
"Ich hab sie nicht gewählt", sagte ich.
"Und das gibt dir das Recht, Gebäude in die Luft zu jagen?"
"Wer redet denn vom Gebäudehochjagen? Die Yippies und Hippies und all diese Leute glaubten fest, dass die Regierung ihnen nicht mehr zuhörte - denk nur mal daran, wie die Leute behandelt wurden, die bei der Wählerregistrierung im Süden geholfen haben. Die wurden verprügelt, eingesperrt..."
"Ein paar von ihnen wurden sogar getötet", ergänzte Ms. Galvez. Dann hob sie ihre Hände und wartete, bis Charles und ich uns gesetzt hatten.
"Unsere Zeit heute ist fast vorbei, aber ich möchte euch allen für eine der interessantesten Stunden danken, die ich je gehalten habe. Es war eine fantastische Diskussion, und ich habe von euch allen viel gelernt. Ich hoffe, ihr habt auch etwas voneinander gelernt. Danke euch allen für eure Beiträge.
Ich habe eine Zusatzaufgabe für diejenigen von euch, die gern eine kleine Herausforderung mögen. Ich möchte, dass ihr einen Aufsatz schreibt, in dem ihr die politischen Reaktionen auf die Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegungen in der Bay Area mit den heutigen Bürgerrechts-Auswirkungen des Kriegs gegen den Terror vergleicht. Mindestens drei Seiten, aber schreibt so viel ihr mögt. Ich bin gespannt, zu welchen Ergebnissen ihr kommt."
Im nächsten Moment klingelte es, und alles strömte aus der Klasse raus. Ich blieb zurück und wartete, bis Ms. Galvez mich bemerkte.
"Ja, Marcus?"
"Das war faszinierend", sagte ich. "Ich wusste das alles über die Sechziger noch gar nicht."
"Auch die Siebziger. In politisch brisanten Zeiten war dies hier schon immer ein aufregender Ort zum Leben. Deine Anspielung auf die Erklärung hat mir gefallen; das war sehr clever."
"Danke, aber das ist mir irgendwie zugeflogen. Vor heute hatte ich noch gar nicht richtig begriffen, was dieser Abschnitt bedeutete."
"Oh, so etwas hören Lehrer immer gern, Marcus", sagte sie und schüttelte mir die Hand. "Ich bin sehr gespannt drauf, deinen Aufsatz zu lesen."
Auf dem Heimweg kaufte ich das Emma-Goldman-Poster und hängte es über meinem Schreibtisch auf, direkt über einem echten Schwarzlicht-Poster. Ich kaufte auch ein TRAU-NIEMANDEM-T-Shirt mit einer Photoshop-Montage aus Grover und Elmo, wie sie die Erwachsenen Gordon und Susan aus der Sesamstraße kicken, weil ich es lustig fand. Später fand ich raus, dass es schon ungefähr ein halbes Dutzend Photoshop-Wettbewerbe mit dem Slogan auf Websites wie Fark, Worth1000 und B3ta gab und dass bereits Hunderte fertige Bilder auf so ziemlich allem zirkulierten, was sich bedrucken und verkaufen ließ.
Mom zog angesichts des Shirts eine Augenbraue hoch, und Dad schüttelte den Kopf und meinte mir einen Vortrag übers Ärgersuchen halten zu müssen; aber seine Reaktion bestätigte mich bloß.
Ange fand mich wieder online, und wir flirteten über Messenger bis spät in der Nacht. Der weiße Lieferwagen mit den Antennen kam wieder vorbei, und ich schaltete meine Xbox ab, bis er weg war. Daran hatten wir uns alle inzwischen gewöhnt.
Ange war ziemlich aufgedreht wegen der Party. Schien, als würde das ein Monsterevent werden. Es waren so viele Bands mit an Bord, dass man davon sprach, noch eine zweite Bühne für die B-Acts aufzubauen.
> Wie sind die an die Genehmigungen gekommen, die ganze Nacht Lärm zu machen? Da sind doch überall Häuser
> Ge-neh-mi-gun-gen? Was ist das denn? Erzähl mir mehr von deinen Ge-neh-mi-gun-gen
> Boah, es ist illegal?
> Äh, hallo? Du machst dir Sorgen übers Gesetzebrechen?
> Guter Punkt
> LOL
So nen
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