Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
darauf gestoßen hatte, dass in seinen Reihen jemand saß, der mehr über das Darknet wusste. Wahrscheinlich hatte sie sich ausgerechnet, dass mich zu isolieren der erste Schritt wäre, mich kaltzustellen. Und wahrscheinlich hatte sie sogar recht damit.
»Danke für alles, Liam«, sagte ich.
Er schaute mich noch einen Moment länger an. »Ich will deinen Job nicht«, sagte er. »Ich gehe auch.«
»Mach das nicht.«
»Und wieso nicht?«
»Weil die Welt ein Stück weit eine bessere sein wird, falls Joe Noss in den Senat von Kalifornien gewählt wird. Besser zumindest, als wenn eine der beiden anderen Kappen gewinnt.«
Er lachte trocken. »Jetzt verarschst du mich aber, oder nicht? Glaubst du echt, es macht einen Unterschied, wen wir wählen? Obwohl du die Darknet-Docs gesehen hast, die zeigen, wie die Leute durch das System erst reich werden und dann ihr Geld dafür einsetzen, dass es auch so bleibt? Indem sie die Gesetze biegen? Boah, sind wir hier in Sozialkunde? Alter, gerade du solltest es besser wissen.«
»Wenn du das wirklich glaubst, wieso hast du dann je für Joe gearbeitet?« Es war komisch, den Mann zu verteidigen, der mich gerade erst gefeuert hatte, insbesondere, da mich das allmählich richtig ankotzte. Wegen der Kosmetik? Was für ein beschissener Grund war das eigentlich, jemanden zu entlassen? (Eine nervige Stimme in meinem Kopf merkte an, dass es ein absolut einleuchtender Grund war, wenn man sich um so ein Amt bewarb, vor allem, wenn die betreffende Person einen angelogen oder zumindest einige sehr wichtige Dinge verschwiegen hatte.)
»Ist nur ein Job. Wen interessiert’s? Könnte auch Burger wenden oder Hunde Gassi führen.«
Ich wollte erst erwidern, dass man einen Job mit dieser Einstellung vielleicht lieber gleich lassen sollte. Doch dann erinnerte ich mich an all die Monate, die ich an jede Tür geklopft hatte, die Hoffnung versprach, und Lebensläufe wie Kaugummi verteilt hatte; an all die Absagen, die ich gekriegt hatte. »Weißt du, Liam … « Doch es gab nichts, was ich Liam hätte sagen können. An sich hatte er ja sogar recht. »Vergiss es einfach. Und ruf mich an, wenn du was brauchst, okay?«
»Mach ich.« Eine Sekunde lang sah es so aus, als ob wir einander wieder kumpelhaft auf die Schulter klopfen würden, doch keiner von uns regte sich. Zwar war es schon schmeichelhaft gewesen, wie Liam immer zu mir aufgeschaut hatte, doch irgendwie war mir diese ganze Lobhudelei auf Dauer auch unangenehm gewesen. Wie es aussah, würde ich mir darum nun keine Gedanken mehr machen müssen.
Vor langer Zeit hatte meine Regierung meine Stadt mal in einen Polizeistaat verwandelt. Man hatte mich entführt und gefoltert. Als ich wieder freigelassen wurde, kam ich zu dem Schluss, dass das Problem nicht das System war, sondern wer darin das Sagen hatte. Die falschen Leute waren in die höchsten Ämter gelangt. Überall steckte der Wurm drin, wie in einem faulen Apfel. Also hatte ich mir den Allerwertesten dafür aufgerissen, die Leute davon zu überzeugen, dass sie ihre Stimme nächstes Mal den frischen, guten Äpfeln geben mussten. Dann kamen die Wahlen, und damit Menschen an die Macht, die wir für die Guten hielten. Schließlich traten sie doch für gute Dinge ein! Ein paar Schweine wie Carrie Johnstone verloren auch tatsächlich ihre Jobs.
Doch dann stellte sich heraus, dass in den frischen Äpfeln ebenfalls der Wurm steckte. Eigentlich gab es so gut wie gar keinen Unterschied zu den angefaulten. Aber natürlich konnten diese guten Leute ihr Handeln begründen. Mit besonderen Umständen, sogar Notlagen und Krisen. Es sei alles schrecklich bedauerlich, sagten sie.
Aber waren die Umstände denn nicht immer besondere? Wenn man den Nachrichten Glauben schenkte, waren die ganzen neunzehn Jahre, die ich auf diesem Planeten verbracht hatte, ein einziger Ausnahmezustand gewesen. Wann würde der jemals vorbeigehen? Würden eines Tages Einhörner durch die Stadt tänzeln und ein Ende der weltweiten Gewalt verkünden, eine Rückkehr zur guten alten Zeit, mit Arbeit und gleichen Rechten für alle?
Wohl eher nicht. Wenn selbst jemand wie Joe Noss sich als ganz gewöhnlicher Politiker entpuppte, dann würde es immer so laufen. Carrie Johnstone war zwar gefeuert worden, hatte am Ende aber nur noch mehr Geld und Einfluss erlangt. Jemand, der so skrupellos wie sie war, würde immer ganz oben schwimmen. Der Glaube, dass wir einfach jemanden wählen konnten, der dann alles besser machen würde, war naiv. Und
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