Little Miss Undercover - Ein Familienroman
oder viel weniger Angst vor dem Tod als ich hätten ihn nicht abschütteln können. Dad wusste ohnehin, dass ich weder sein Leben noch meins riskieren würde, und so glich diese Verfolgungsjagd eher einer Unterhaltung. Zwischendurch rief er mich sogar auf dem Handy an.
»Ich könnte endlos so weitermachen, Schätzchen.«
»Geht mir nicht anders«, erwiderte ich.
»Wie können wir Frieden schließen, Isabel?«
»Hör auf, mich zu verfolgen.«
»Hör auf davonzulaufen.«
»Du zuerst.«
»Nein, du .«
»So kommen wir nicht weiter.« Ich legte auf.
Auf dem Rückweg fädelte ich mich auf den Geary Boulevard ein und kurvte dann durch Richmond, wo San Franciscos exklusivste Reihenhaussiedlungen an meinem Auge vorbeizogen. Dad hielt sich dicht hinter mir, er wusste ja nicht,dass ich ihn nicht mehr abhängen wollte. Jedenfalls nicht auf diese Weise, wenn es auch anders und leichter ging.
Ich parkte in einer dieser Seitenstraßen, die mit Zwei- und Dreifamilienhäusern vollgestopft sind und in denen man als Nicht-Anwohner eigentlich gar nicht parken kann. Doch ich fand eine legale Lücke, zwei Blocks vom Pub entfernt. Ich warf noch einen Blick auf alle Verkehrsschilder, schloss das Auto ab und lief auf dem Weg zum Pub an Dad vorbei. Er ließ die Scheibe runter.
»Wo gehst du hin?«
»Ins Pig and Whistle.«
«Warum?«
«Um mich zu betrinken.«
Wohl wissend, dass er den Köder schlucken würde, lief ich weiter. Dad parkte im Halteverbot, warf seine alte Polizeimarke auf das Armaturenbrett und folgte mir in den Pub.
Die erste Runde bezahlte er. Die zweite und dritte auch. Bei der vierten konnte ich mich mit Mühe durchsetzen. Solange Dad und ich uns einträchtig die Kante gaben, ließen wir das Katz-und-Maus-Spielen sein.
»Wie läuft’s mit deinem Dentisten?«
»Er hat einen Namen.«
»Wie läuft’s mit deinem Herrn Dr. Daniel Castillo?«
»Gut.«
»Warum unterhalten wir uns nicht einfach, Izzy?«
»Gern. Wenn du mir nicht mehr hinterherspionierst.«
»Dann will ich etwas anderes versuchen. Kann sein, dass Ray sich auf eine Entziehungskur einlässt.«
»Wahrscheinlichkeitsfaktor?«
»Etwa zehn Prozent.«
»Wahrscheinlichkeitsfaktor, dass die Wirkung anhält?«
»Etwa zehn Prozent.«
»Die Wahrscheinlichkeit, dass Onkel Ray trocken wird, beträgt also ein Prozent«, sagte ich.
»In etwa«, meinte Dad. So langsam fing er an zu lallen.
»Weiß Rae eigentlich, wie schlecht die Chancen stehen? Bevor sie ganz zur Expertin für Entziehungskuren mutiert, sollte man ihr vielleicht stecken, dass sie ihre Zeit verschwendet.«
»Das Gespräch haben wir mit ihr schon geführt.«
»Wobei mich schon beeindruckt, dass Onkel Ray das überhaupt in Betracht zieht.«
»Wir wissen, dass du den Drogendeal inszeniert hast.«
»Woher?«
»Zunächst einmal ist dein Dentist ein lausiger Schauspieler. Dann habe ich Rae mitten in der Woche mit einer Packung Rice-Krispie-Riegel rumgekriegt. Ich sagte, wenn sie auspackt, darf sie die alle essen. Da hat sie ausgepackt.«
»Du schreckst auch vor nichts zurück.«
»Ich hab meiner Tochter was zu naschen gegeben. Du hast dir vor ihren Augen Koks reingezogen. Oder so getan, als ob.«
»Das hab ich nur getan, weil ihr meine Wohnung verwanzt habt.«
»Das haben wir nur getan, weil du von diesem Fall besessen bist. Den wir übrigens längst wieder zu den Akten gelegt haben.«
» Ihr habt mir diesen Fall übertragen.«
»Das war ein Fehler.«
»Was?«
»Dir diesen Fall zu übertragen.«
»Ein Fehler von vielen.«
Dad holte einen weiteren Korb mit kleinen Brezeln von der Bar. Dann setzte er sich wieder hin.
»Als du die ersten Male bewusstlos im Vorgarten lagst, dachte ich immer, du bist tot.«
»Das ist Geschichte, Dad. Ist mir seit Jahren nicht mehr passiert.«
»Wir müssen also kein Comeback der Alten Isabel befürchten?«
»Hätte die Alte Isabel ihr Comeback, würde sie kaum mit ihrem Vater in der Kneipe sitzen.«
»Was würde sie stattdessen machen?«
»Einen dieser süßen irischen Jungs an der Bar angraben oder im Dolores Park eine Tüte Gras abgreifen.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte er.
»Ich gehe. Ohne dich.«
»Das wird nichts.«
»O doch.« Ich schlüpfte in den Mantel und legte etwas Trinkgeld auf den Tisch.
»Was macht dich da so sicher?«, fragte Dad.
»Zum Fahren bist du zu blau, und ich laufe viel schneller als du«, erklärte ich mit einem breiten Grinsen. In letzter Zeit hatte ich so gut wie keine Erfolgserlebnisse gehabt. Das
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