Little Miss Undercover - Ein Familienroman
sollte sich jetzt ändern. Langsam schritt ich auf den Ausgang zu. Dann riss ich die Tür auf und witschte aus dem Pub. Hinter mir schlug die Tür wieder auf und zu, als Dad ins Freie stolperte. Anstatt mich nach ihm umzusehen, rannte ich los. An der dritten Straßenecke bog ich nach rechts in die Fillmore Street und nahm mir ein Taxi. Um ganz sicherzugehen, duckte ich mich auf dem Rücksitz. Dem Taxifahrer kam ich so verdächtig vor, dass er mich nur allzu gern wieder ablud. Mein Geld nahm er trotzdem. Ich verzog mich rasch in das nächste Café, eine pseudo-hippe Touristenfalle in der Marina. Von wohlhabenden Gästen aus dem Mittleren Westen umgeben, die hier ihre Pelze lüfteten, trank ich Kaffee. Ich musste wieder nüchtern werden.
Als ich ein paar Stunden später spazieren ging, um Alkohol und Koffein gleichermaßen abzubauen, klingelte wieder mein Handy.
»Isabel?«
»Ja. Mit wem spreche ich?«
»Wir treffen uns in einer Stunde an der West Oakland Station«, sagte die undefinierbare Stimme am anderen Ende. Ob Mann oder Frau, ließ sich beim besten Willen nicht erkennen.
»Geht nicht. Für so was habe ich keine Zeit.«
»Und ich dachte, Sie wollten auf Ihre Fragen endlich eine Antwort, Isabel.«
»Das schon. Zum Beispiel auf die Frage: Mit wem spreche ich?«
»Nicht am Telefon.«
»Wenn ich ausgerechnet zur Stoßzeit über die Brücke soll, will ich wissen, warum.«
»Ich weiß alles über Andrew Snow.«
»Wer sind Sie?«
»Das erfahren Sie bei unserem Treffen.«
»Ich überlege es mir. Welche Station, sagten Sie?«
»West Oakland. Ausgang Süd-Ost. In zwei Stunden.«
»Sagen wir drei. Ich muss erst ausnüchtern.«
Mein Auto konnte ich vergessen; inzwischen hatte Dad wahrscheinlich einen zentralen Bestandteil des Motors wie den Vergaser ausgebaut. Im Bus nach Fillmore rief ich Daniel in der Praxis an. Es war nicht leicht, Mrs. Sanchez’ Widerstand zu brechen, doch irgendwann stellte sie mich zu ihm durch.
»Ich brauche dein Auto.«
»Wer?«
»Ich. Isabel.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Es ist ein Notfall.«
»Isabel ...«
»Bitte!«
Schließlich trafen wir eine Art stillschweigende Übereinkunft. Ich wollte was von Daniel – sein Auto –, Daniel wollte was von mir – ein Ende ohne Schrecken. Um seine Schuldgefühle zu ersticken, erklärte er sich bereit, mir seinen BMW zu borgen. Ich wartete vor dem Parkhaus an der Ecke Folsom und Third Street auf ihn. Nach fünf Minuten gab die flackernde Straßenlaterne den Geist auf. Daniel wollte nach seinem Tennismatch zu mir stoßen. Er war spät dran. Je nüchterner, desto nervöser wurde ich. Bei jedem Geräusch blieb mir fastdas Herz stehen, egal ob es sich um weit entfernte Schritte oder leere Dosen handelte, die der Wind ins Rollen brachte.
Bis endlich Daniel um die Ecke bog. Als er mich sah, senkte er erst mal den Blick. Das kam mir vertraut vor. Als Nächstes würde er sein berühmtes »Wir müssen reden« von sich geben. Auch wenn ich genau wusste, was dann kommen würde, wollte ich es doch so weit wie möglich hinauszögern.
»Ist dir auch bestimmt niemand gefolgt?«, fragte ich.
»Wer sollte mir folgen?«, fragte Daniel.
»Meine Mutter oder mein Vater.«
»Ich glaube nicht, dass mir jemand gefolgt ist.«
Ich streckte die Hand aus. Am liebsten wäre mir eine stumme Schlüsselübergabe gewesen.
»Es hat keinen Sinn«, sagte er.
»Was?«
»Mit uns beiden.«
»Warum?«
»Wie sollten wir das den Kindern erklären?«
»Welchen Kindern?«
»Unseren Kindern. Wie sollen wir ihnen erklären, wie Mommy und Daddy sich kennengelernt haben?«
»Uns wird schon was einfallen.«
»Das mach ich nicht mehr mit. Es ist vorbei.«
Den Rest dieses Gesprächs erspare ich uns. Begnügen wir uns mit Daniels Epitaph:
Ex-Freund Nr. 9 Name: Castillo, Daniel Alter: 38 Beruf: Zahnarzt Hobby: Tennis Dauer: 3 Monate Letzte Worte: »Nach dem Drogendeal war es mit uns vorbei.«... Der Ford hält mit quietschenden Reifen knapp drei Meter hinter mir. Ich schalte den Motor ab, atme ein paar Mal tief durch. Dann steige ich aus und gehe zu der anderen Limousine rüber.
Auf mein Klopfen gleitet das Fahrerfenster herunter. Eine Hand auf die Motorhaube gestützt, beuge ich mich leicht vor.
»Mom. Dad. Jetzt reicht’s!«
Bevor sie auch nur einen Satz formulieren können, der ihrem tiefempfundenen Unmut Ausdruck verleiht, greife ich nach meinem Taschenmesser und schlitze den linken Vorderreifen auf. Was anderes bleibt mir nicht übrig, um diese Hetzjagd zu
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