Little Miss Undercover - Ein Familienroman
einmal voreilige Schlüsse zog. Dass ich nicht mehr in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber plötzlich kam mir der Verdacht, das Ganze sei eine abgefeimte Inszenierung, und dieser Verdacht war so stark, dass ich ihn nicht abtun konnte. Verschwörungstheorien entstehen immer dann, wenn logische Erklärungen nicht greifen. Es schien auf einmal so plausibel, plausibler als alles andere: Meine Schwester war gar nicht sang- und klanglos verschwunden, nein, sie lebte und aß ihre Froot Loops und spielte mit bei einem doppelten Spiel, das an Abscheulichkeit nicht zu übertreffen war. Sollte das der Fall sein, blieb mir nichts anderes übrig, als sie alle auffliegen zu lassen.
Ich rief im Präsidium an, um mich nach Stones Dienstzeiten zu erkundigen. Um zwanzig Uhr hatte er Feierabend. Ich parkte vor dem Gebäude und wartete. Er musste noch ins Fitnessstudio gegangen sein, denn er kam erst eine Stunde später raus, mit nassen Haaren (falls man die anderthalb Zentimeter kurzen Borsten als solche bezeichnen durfte) und in lässigem Zivil. Stone fuhr gleich nach Hause, was mich nicht überraschte, diesem Mann hätte ich ohnehin kein reges Sozialleben zugetraut. Ich blieb vier Häuser weiter stehen und beobachtete die Lichter bei Stone an- und ausgehen. Zwei Stunden harrte ich so aus, ohne Sinn und Zweck. Dabei hätte ich einfach bei ihm klingeln können, um ihn zur Rede zu stellen. Auf so einfache Lösungen kommen heutzutage die wenigsten. Und gerade als ich den Rückweg antreten wollte, trat meine Zielperson wieder vor die Tür.
Stone, der nun wieder einen Anzug trug, stieg in seinen Dienstwagen. Natürlich hätte ich ihm folgen können, doch so, wie er gekleidet war, ging es bei ihm um eine Ermittlung.
Stattdessen lief ich ein Mal um das Haus, auf der Suche nach einem offenen Fenster oder einer nicht abgeschlossenen Tür. In Ermangelung eines leichteren Zugangs knackte ich das Schloss und den Sicherheitsriegel der Hintertür. Da ich etwas aus der Übung war, kostete mich das eine halbe Stunde. Mir kam dabeigar nicht in den Sinn, wie wenig ratsam es war, in die Wohnung eines Polizeiinspektors einzubrechen. Schlafentzug schadet dem gesunden Menschenverstand, das ist bekannt.
Um den Rückfall in alte schlechte Gewohnheiten zu rechtfertigen, redete ich mir ein, dass in dieser klinisch reinen Junggesellenbude Beweise zu finden waren. Beweise dafür, dass der Inspektor meinem Vater als Marionette in einem abgekarteten Spiel diente. Irgendwo musste die Wahrheit doch stecken, warum also nicht hier?
Ich ließ meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen und orientierte mich derweil an meinen Erfahrungen mit dem Grundriss eines San-Francisco-typischen Zweizimmerapartments: zwei Türen. Eine vorn und eine hinten. Die hintere Tür führt von der Vorratskammer in die Küche. Die vordere vom Flur ins Wohnzimmer. Schlafzimmer und Badezimmer auf der anderen Seite. Wie voll eine Wohnung ist, gibt in der Regel Auskunft darüber, wie lange die Person schon darin lebt. Doch in Stones Apartment war alles blankgewischt und leergeräumt, alles hatte seinen Platz, und es gab nichts, was nicht irgendeinem praktischen Zweck diente. Im Grunde eine traurige Angelegenheit.
Ich strich durch die Räume, auf der Suche nach einer Bestätigung für meinen Verdacht. Doch wie würde so was wohl aussehen? Und wenn sich ein Beweis fände, was würde ich damit anstellen? Würde ich zur Polizei gehen? Würde ich klammheimlich neue Rachepläne schmieden? Würde ich den Krieg fortsetzen?
Stones Schlafzimmer war etwa so heimelig und intim wie ein Hotelzimmer der gehobenen Kategorie. Die Bettdecke lag akkurat auf, ohne Falten zu werfen.
»Dafür haben Sie hoffentlich eine verdammt gute Erklärung«, sagte Inspektor Stone, als er ins Zimmer trat.
Ich war zu wütend, um mich ertappt zu fühlen. »Worauf Sie wetten können«, erwiderte ich.
»Setzen Sie sich!«
Zuerst wollte ich nicht, doch dann warf er mir einen Blick zu, der sich in Übersetzung folgendermaßen liest: »Wenn Sie nicht auf der Stelle tun, was ich sage, nehme ich Sie wegen Einbruchs und Hausfriedensbruchs fest.« Also tat ich, wie mir geheißen. Stone ging eine Weile auf und ab, vermutlich, um seine Standpauke in Gedanken auszuformulieren. Aber ich schlug als Erste zu.
»Sie sollten sich schämen«, sagte ich.
»Wie bitte?«
»Sie haben mich gehört.«
»Isabel, Sie sind gerade in die Wohnung eines Polizeiinspektors eingebrochen.«
»Dessen bin ich mir durchaus
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