Little Miss Undercover - Ein Familienroman
verlief in etwa so: Daniel: Könnte ich bitte mit Jacqueline Moss-Gregory sprechen? Ich: Daniel? Daniel: Hör auf, unter falschen Namen in der Praxis anzurufen. Ich: Okay. Ich hör damit auf. Daniel: Wir treffen uns im Club. Morgen zwölf Uhr. Ich: Im Tennisclub? Daniel: Nein, im Club der britischen Hütehunde. Natürlich im Tennisclub. Zwölf Uhr mittags. Sei pünktlich.
D AS LETZTE M ATCH
Vermutlich wollte Daniel Tennis spielen, also hatte ich meinen Schläger dabei. Zwischen den Ballwechseln würden wir kaum viele Worte wechseln. Bald wurde mir klar, dass es genau seiner Absicht entsprach.
Daniel trat stumm auf den Platz und warf mir einen Ball zu – Aufschlag Isabel. Ich schlug auf und sprang dann zur Seite, als wollte ich den Return garantiert verpassen. Als Daniel aufschlug, versuchte ich zwar, dem Ball entgegenzuhechten, aber es wollte mir nie recht gelingen. Im Lauf dieses Matchs zog ich mir insgesamt drei Muskelzerrungen zu. Das Ende des zweiten Spiels folgte dem gleichen Muster – entweder duckte ich mich vor den großen gelben Geschossen, oder ich jagte Bällen nach, die außerhalb meiner Reichweite lagen.
Daniel hatte sein Prinzip der variablen Spielstärke aufgegeben. Das dritte Spiel verlief ebenso wie das zweite und erste. Nach zwei Sätzen hatte ich dank Fehler von Daniel zweimal punkten können und ganze drei Returns zuwege gebracht. Als es zum Matchball kam, spielte ich längst nicht mehr, sondern duckte mich nur noch. Bald war ich so erschöpft, dass meine Reflexe versagten, ich spürte die Bälle gegen meinen Körper prallen.
Im Lauf des Spiels hatte sich eine stattliche Zuschauermenge versammelt, was Daniel völlig entging, während ich dieser modernen Eliteclub-Variante eines mittelalterlichen Bußrituals durchaus etwas abgewinnen konnte. Denn jedes von diesen Geschossen, die meine Haut rot brandmarkten, zeigte, dass ich ihm nicht egal war. Das bestärkte nur meinen Wunsch, ihn nicht aufzugeben. Wahrscheinlich hatte er von mir lautstarke Empörung erwartet, doch ich dachte, wir könnten vielleicht einen Neustart versuchen, wenn er sich komplett abreagiert hätte.
Erst als Daniel sich eine Atempause gönnte, fielen ihm die vielen anklagenden Blicke auf, die sich gegen ihn richteten. Es war klar, dass ihn alle für ein Monster hielten, und natürlich würde er den Zuschauern nicht begreiflich machen können, dass ich jeden einzelnen blauen Fleck verdient hatte. Ich bin zwar keine Masochistin, aber es kommt durchaus vor, dass man sich nach Strafe sehnt, ohne zu wissen, wie man sie aus eigener Kraft erlangen soll. Man ahnt, dass man einen schweren Fehler begeht, doch dann ist die Macht der Gewohnheit stärker als das Gewissen. Auch wenn ich mich zu Daniel hingezogen fühlte, hieß es noch lange nicht, dass er sein Glück ausgerechnet bei einer Frau wie mir suchen würde. Darum all die Lügen. Denn anders als andere ließ ich mich nicht davon abschrecken, dass ich Daniels Kriterien nicht im mindesten entsprach.
»Bringt es was, wenn wir weiterspielen?«, fragte er.
»Entscheide du«, sagte ich mit einem Lächeln.
Daniel nahm seine Tasche und ging vom Platz. Ich folgte ihm nach draußen, unter den trüben, regnerischen Himmel.
»Hat echt Spaß gemacht«, heuchelte ich.
»Du bist hart im Nehmen, das muss man dir lassen.«
»Es tut mir leid. Glaub mir. Ich kann es mir selbst nicht erklären.«
»Vielleicht hängt es mit deiner Familie zusammen.«
»Ganz sicher sogar!«
»Was willst du eigentlich von mir?«
»Deine DVD-Sammlung.«
»Im Ernst, Isabel. Was willst du von mir?«
»Deine Seele, was sonst?«
»Ich muss los. Und wir sehen uns erst wieder, wenn du zur Abwechslung mal einen aufrichtigen Satz zustande bringst.«
D ER F ALL S NOW
K APITEL 3
Nach dem Match zog ich mich im Auto um – eine Disziplin, die ich inzwischen nur allzu gut beherrschte – und fuhr nach Marine County, um ein paar ehemalige Bekannte von Andrew Snow zu befragen, die wenigen, die sich in seinem letzten Jahrbuch verewigt hatten. Die Termine hatte ich alle für den Nachmittag angesetzt.
Keiner der Befragten konnte sich wirklich an den Jungen erinnern, der vor zwölf Jahren verschwunden war. Die Beschreibungen blieben vage, die groben Raster der Erinnerung trugen zu ihrer Verzerrung bei. Audrey Gale, die drei Jahre lang Andrews Pausenraum geteilt und manchmal mit ihm zusammen gelernt hatte, charakterisierte den jüngeren der Snow-Brüder als wohlerzogen, zurückhaltend und sensibel. Susan Hayes, die
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