Little Miss Undercover - Ein Familienroman
reinziehst.«
Rae war sprachlos. Zumindest am Anfang.
»Ich weiß ja nicht, wonach euch ist, aber ich brauche jetzt unbedingt ein Tässchen Tee«, sagte Christopher mit seinem normalen britischen Akzent. »Wer will noch?«
Daniel hob die Hand und sagte: »Earl Grey.«
Len sagte: »Für mich Kamille, bitte.«
Christopher wandte sich meiner Schwester zu: »Und du, meine Liebe?«
Rae starrte ihn an wie einen Außerirdischen. Als verstehe sie seine Sprache nicht.
»Am besten eine heiße Schokolade«, sagte ich. »Und für mich nichts, danke.«
Christopher schaltete den Wasserkocher ein. Len wischte das Pseudo-Kokain vom Tisch und fragte mich: »Jetzt mal ehrlich. Wie waren wir?«
»Perfekt«, erklärte ich.
»Nicht zu fassen, dass der andere aus England kommt. Sein Akzent war so was von täuschend echt«, gluckste Daniel.
»Hast du gehört, Christopher?«, rief Len.
Von der Küchenzeile aus antwortete Christopher: »Ihr seid so lieb.«
»Setz dich, Rae«, sagte ich und zog einen Stuhl für sie heran. »Dann erzähle ich dir, wie alles gedacht war.«
Rae setzte sich ganz langsam hin, doch ohne die Pistole aus der Hand zu legen oder die verdächtigen männlichen Personen aus den Augen zu lassen.
»Ich wollte, dass du mich beschattest, wie früher. Ich wollte, dass du alles dokumentierst, was ich tue. Und ich wusste, wenn du zu Daniel gehst und er dir ein bisschen Angst einjagt, würdest du dich wieder an meine Fersen heften, auch ohne Auftrag. Das war alles nur geflunkert, Rae, das gruslige Auftreten, das Zwinkern, das Zitat aus Der Marathon-Mann. Reine Show.«
»Die drei Löcher waren aber nicht geflunkert«, warf Daniel ein.
Rae schwang auf ihrem Stuhl herum, richtete die Pistole auf Daniel und brüllte: »ICH HABE KEINE LÖCHER!«
Ich nahm ihr die Waffe weg, dann fuhr ich fort: »Ich ahnte also, dass du mir folgen würdest. Aber du kannst ja nicht Auto fahren. Ich spekulierte darauf, dass du dich in meinem Auto verstecken würdest, auf der Rückbank. Und ich war bereit, es wieder und wieder zu versuchen, bis du den Köder geschluckt hättest. Doch es hat schon beim ersten Versuch geklappt. Jede Wette, dass du deine Digitalkamera im Rucksack dabeihast. Der Rucksack ist aber noch im Auto, oder?«
Rae sah weg. Ich hatte voll ins Schwarze getroffen.
»Ich hatte damit gerechnet, dass du mir folgen und mich dann durchs Fenster beobachten würdest. Die Fenster hier sindalle frisch geputzt, wie du siehst, und von der Nordseite aus – dort steht auch das Auto – hat man einen besonders guten Einblick. Ich hatte damit gerechnet, dass du mich filmen und den Film dann Mom und Dad zeigen würdest. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass du die Bude vermeintlicher Drogendealer stürmen und alle Anwesenden mit einer Pistole bedrohen würdest. Bist du eigentlich völlig übergeschnappt?«
»Das ist jetzt eine rhetorische Frage, oder?«, sagte sie.
»Was du getan hast, Rae, ist Wahnsinn.«
»Was ich getan habe?«, wiederholte sie fassungslos. »Das erzähl ich Mom und Dad.«
»Richtig. Das erzählst du Mom und Dad, und zwar genau so, wie ich es dir gleich erklären werde.«
Rae starrte auf die Tischplatte. Sie murmelte: »Und ausgerechnet dir wollte ich das Leben retten.«
»Teatime«, zwitscherte Christopher und stellte ein Tablett voller Tassen und Scones ab.
Daniel bewunderte Christophers antikes Teeservice und meinte, er habe sich selten so zivilisiert gefühlt. Er war sichtlich erleichtert, die Maske des Bösewichts abzulegen. Es hatte mich Stunden gekostet, ihn zum Mitmachen zu bewegen. Ihn schreckte weniger die Aussicht eines getürkten Drogendeals als die Tatsache, dass wir eine Minderjährige in diese Charade einbezogen. Immerhin waren Einschüchterungsmethoden, weißes Pulver und Schusswaffen involviert, wenn auch ohne Munition. Erst als ich ihm nach drei endlosen Stunden begreiflich gemacht hatte, dass es keine wirksamere Methode gab, mich an meinen Eltern zu rächen, willigte er ein.
Lens und Christophers Schauspielkunst übertraf bei weitem ihre Fähigkeiten als Ausstatter. Auch wenn sie die teure Couch aus Leder und Mahagoni weggeräumt hatten, den Empire-Beistelltisch und die kostbaren Teppiche, war dem Loft dennoch die Hand eines erfahrenen Innenarchitekten anzumerken – in diesem Fall die Hand von Christophers wohlhabender und großzügiger Mutter. Hätte Rae Verdacht geschöpft,hätte sie nach Hinweisen gesucht, die auf eine Falle schließen ließen, dann wäre ihr vielleicht die
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