Little Miss Undercover - Ein Familienroman
DVD-Sammlung aufgefallen, die fast nur aus Screwball-Komödien der 40er und Cinéma vérité bestand. Verräterisch war auch das geschmackvoll gerahmte Filmplakat des Sidney-Poitier-Klassikers They call me Mister Tibbs! , ein echtes Sammlerobjekt, allerdings hätte Rae kaum gewusst, wonach sie suchen soll. Sie ist zwar kein überbehütetes Kind, aber mit der Drogenszene nie in Berührung gekommen. Für sie waren das weiße Pulver und die schwarzen Männer in ihrem Rapperoutfit Beweis genug.
»Ich will nach Hause«, sagte Rae.
Noch waren wir aber nicht fertig. Sie sollte Mom und Dad schließlich belastendes Material vorlegen.
»Trink deinen Kakao aus, dann wird gedreht.«
Auf der Rückfahrt nahm Rae das Gefilmte in Augenschein, während Daniel sich einen kleinen Nervenzusammenbruch genehmigte.
Als er Rae wieder einmal mitgeteilt hatte, dass er keineswegs ein Schurke und ihre Löcher keineswegs erfunden waren, wandte sich Daniel an mich: »So was Kindisches habe ich noch nie getan.«
»Auch als Kind nicht?«, fragte ich verärgert. »Du hast dich bereit erklärt, bei diesem gefakten Drogendeal mitzumachen, also darfst du dich jetzt auch nicht beschweren.«
Rae fiel mir ins Wort: »Ich versteh aber immer noch nicht, warum du vorgeben wolltest, Drogen zu kaufen.«
»Mom und Dad haben meine Wohnung verwanzt. Damit sind sie eindeutig zu weit gegangen. Und wenn sie schon in meine Privatsphäre eindringen, sollen sie dort auch was geboten kriegen. Hör zu, Rae: Wenn du dich nicht an unsere Abmachung hältst, sorge ich dafür, dass du ein ganzes Jahr Hausarrest bekommst. Ich hab genug gegen dich in der Hand. Klar?«
Rae verstummte für den Rest der langen Fahrt. Damit übertraf sie ihren bisherigen Rekord um sechs Minuten.
I SABEL S CHNUPFT K OKAIN – D ER F ILM
Am nächsten Abend führte Rae ihren Debütfilm unseren Eltern vor. Erst verteilte sie eine Runde Popcorn und bat auch Onkel Ray ins Wohnzimmer. Dann legte sie die selbstproduzierte DVD in den Player und hielt eine kurze Einführungsrede. Rae beschrieb ein verdächtiges Telefonat zwischen Daniel und mir, das sie mitgehört hatte – es ging um die Planung eines Drogenkaufs. Sie erzählte, wie sie sich hinten in meinem Auto unter einer Decke versteckt und wie sie später alles von einem Fenster aus gefilmt hatte, als Daniel und ich uns in der »Crack-Hütte« aufhielten.
Danach drückte sie den Startknopf, setzte sich vor dem Couchtisch auf dem Boden, schnappte Onkel Ray die Popcornschüssel weg und ermahnte ihn, nicht immer alles Essbare an sich zu reißen.
Mom saß da wie erstarrt, während sie Raes Stummfilm auf dem zwanzig Zoll breiten Bildschirm verfolgte. Mit angehaltenem Atem sah sie zu, wie ich mich über den Tisch beugte, das weiße Pulver mit einer Rasierklinge teilte, einen Strohhalm nahm und ...
»Jetzt sieht man, wie Izzy das Kokain schnupft«, sagte Rae, als hätten alle anderen keine Augen im Kopf.
Sofort wollte Mom ihre jüngere Tochter vor diesem abscheulichen Anblick bewahren: »Rae, schau bitte weg!«
»Aber ich hab’s doch aufgezeichnet«, erwiderte sie.
Der getürkte Drogendeal war als Vergeltungsaktion für die Verwanzung meiner Wohnung gedacht gewesen. Leider hatte ich nicht richtig eingeschätzt, wie meine Eltern darauf reagieren würden. Von da an überwachten sie mich rund um die Uhr – bis zum Eintritt der Katastrophe, die alle anderen Sorgen restlos verdrängen sollte.
Die Befragung
Teil 5
Stones kühle Gelassenheit weicht offener Verachtung. Mit leichtem Kieferzucken geht er seine Notizen durch.
»Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sage ich.
Stone trinkt einen Schluck Kaffee. Er vermeidet jeden Blickkontakt.
»Das glaube ich kaum.«
Stimmt. Ich kann fast immer die Gedanken meines Gegenübers lesen, nur bei ihm klappt das nicht, und das bringt mich aus der Fassung. Ich muss ein Stück Kontrolle über das Gespräch zurückgewinnen.
»Sind Sie verheiratet, Inspektor?«
»Nein.«
»Geschieden?«
»Ich bin nicht Gegenstand dieser Befragung.«
»Warum hat Ihre Frau Sie verlassen?«
»Dieser Trick ist viel älter als Sie, Isabel.«
»Sie hat Sie also nicht verlassen?«
»Lassen Sie das bitte, Isabel.«
Stone klingt so menschlich, dass ich vor Verblüffung aufhöre. Aber dann stelle ich die Frage, die seit Beginn dieser Vernehmung an mir nagt. »Was haben sie Ihnen über mich erzählt?«
»Spielt das jetzt eine Rolle?«
»Ja. Das tut es.«
Mit einem Blick auf seine Notizen sagt Stone: »Ich weiß, dass Sie
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