Live!
bis man das Gewünschte gestand.« Er macht eine Pause und fügt bedeutungsvoll hinzu: »Du kennst das ja.«
Immer wenn er spitze Bemerkungen über meinen Berufsstand macht, falle ich darauf herein und gehe unwillkürlich in die Defensive.
»Ich war nicht bei der Militärpolizei«, entgegne ich frostig.
»Was du nicht sagst! Ich war auch nicht bei der Militärpolizei, nur bei euch! Soll ich dir zeigen, wie ihr mich zugerichtet habt? Das ist ausschließlich euer Werk!«
Ich bleibe stumm und warte, bis die Wetterstörung vorübergezogen ist. Ich weiß, daß das Gespräch abgleiten wird, wenn ich jetzt noch etwas Falsches sage. Und ich warte noch auf den Clou. Tatsächlich beruhigt sich sein Tonfall gleich wieder, und er meint etwas sanfter: »Ich spreche von deinen Vorgängern. Du fällst nicht in diese Kategorie.«
Als er in der Bouboulinas-Straße inhaftiert war, stand ich gerade am Anfang meiner Laufbahn und war dort Gefängniswärter. Spätabends ließ ich ihn heimlich aus der Zelle, damit er sich die Beine vertreten, eine Zigarette rauchen und seine Kleider an der Heizung trocknen konnte. Die waren naß, weil man ihn stundenlang in eiskaltes Wasser tauchte.
»Weißt du vielleicht, wer sonst noch in der Gruppe war?« frage ich, um das Gespräch wieder in eine mir genehme Richtung zu lenken.
»Ich kenne noch drei, aber es könnten noch mehr dabeigewesen sein.« Er sieht auf seinem Kärtchen nach. »Stelios Dimou, Anestis Tellopoulos und Vassos Sikas. Aber ich kann nicht sagen, wo sie sich jetzt befinden, ob sie noch leben oder schon tot sind.«
Ich ziehe meinen kleinen Spiralblock heraus und notiere mir die drei Namen.
»Einzig und allein der Kopf der Organisation ist mit Sicherheit tot«, fährt Sissis fort. »Man sagt, er habe sie ins Leben gerufen und dann die anderen angeworben. Das glaubte offenbar auch die Militärpolizei, denn sie folterte ihn schlimmer als die anderen. Die jungen Männer nannten ihn ›Onkel‹, weil er ’67 an die Fünfundvierzig gewesen sein muß. Er war also ganze fünfundzwanzig Jahre älter als die anderen. Nach dem Fall der Junta ist er untergetaucht, und man hat nichts mehr von ihm gehört. Vor einem Jahr habe ich durch Zufall erfahren, daß er gestorben ist.«
»Sag mir seinen Namen, den möchte ich mir auch notieren.«
»Thanos Jannelis.«
Fast wäre mir der Block aus der Hand geglitten. Was für eine Beziehung könnten Thanos Jannelis und Koralia Janneli zueinander haben? War es eine zufällige Namensgleichheit? Jannelis wäre heute über fünfundsiebzig. Daher ist es ausgeschlossen, daß Koralia seine Schwester ist. Sollte sie etwa seine Tochter sein?
»Weißt du, ob Jannelis eine Tochter hatte?«
»Du bist ja unersättlich!« ruft er erbost. »Die Informationen, die ich dir gebe, reichen dir nicht. Darüber hinaus willst du auch noch einen Stammbaum! Nein, keine Ahnung, ob er Kind und Kegel hatte.«
Plötzlich kommen mir all die fünfzigjährigen Frauen in den Sinn, die in Favieros’ Unternehmen arbeiten, und das, was ich zu Koula gesagt hatte: daß Favieros alle eingestellt habe, weil er sie aus dem Widerstand kannte. Wenn Koralia Janneli in diese Kategorie gehört, dann hatte sie mit Sicherheit etwas mit Thanos Jannelis zu tun.
Als ich aufstehe, um zu gehen, wirft er mir das T-Shirt zu. »Nimm, das kann ich nicht gebrauchen«, meint er. »Aber darf ich das Lied behalten?«
»Tu das.« Da es sich ohnehin nicht um Morde handelt, brauchen wir auch keine Beweismittel zurückzubehalten.
Und während ich das T-Shirt wieder in die Plastiktüte stecke, füge ich noch hinzu: »Vielen Dank, Lambros. Ich weiß, daß du uns Bullen nicht leiden kannst. Mir hilfst du trotzdem immer, und dafür bin ich dir dankbar.«
Er flüchtet sich in das Anzünden einer Zigarette, um mir nicht antworten zu müssen. Aber als ich auf die Veranda trete, höre ich ihn hinter mir sagen: »Ach ja, du Bulle. Früher haben wir eure Leute angespuckt, weil sie mit dem Geld nur so um sich warfen. Heutzutage haben die Unsrigen aus der Revolution T-Shirts gemacht. Beide haben sie Kapital aus ihren Überzeugungen geschlagen.«
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M ein erster Gedanke ist, schnurstracks in die Büros der BALKAN PROSPECT zu fahren und die Janneli zur Rede zu stellen. Diese Idee, kombiniert mit einem Gefühl kribbeliger Ungeduld, gibt mir Elan bis zur großen Abzweigung in Richtung Alexandras-Boulevard. Vom Ares-Park an beginnen Zweifel an mir zu nagen, die proportional zum Höhenanstieg des Alexandras-Boulevards
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