Live!
4 im Stadtteil Rouf«, ertönt die Stimme der Nachrichtensprecherin. »Beiden wurde ins rechte Auge geschossen.«
Während ich das Bild betrachte, beginnen sich die Fragen in meinem Inneren aufzutürmen. Wie kommt es, daß wir nur wenige Tage nach Jason Favieros’ Selbstmord einen Mord an zwei Kurden zu beklagen haben? Und warum kann ich den Verdacht nicht unterdrücken, daß Favieros’ öffentlicher Selbstmord eine Alarmglocke schrillen läßt, die keiner hören mag? Jedenfalls weder Gikas noch der vernagelte Janoutsos. Mit einem Schlag spüre ich, wie mich trotz der tragischen Ereignisse eine tiefe Befriedigung überkommt: Gestern haben sie mich von oben herab behandelt, und heute stehen sie vor einem Scherbenhaufen. Sie haben das Offensichtlichste übersehen. Denn selbst wenn man annimmt, daß diese Nationalisten bloße Trittbrettfahrer sind, so hätten sie das nicht getan, wäre der Selbstmord nicht in aller Öffentlichkeit geschehen. Dann hätten sie auch jetzt nicht die beiden Kurden töten müssen, um die Zweifler zu bekehren.
Wonach sehnt sich ein Bulle in solchen Momenten? Nach einem Streifenwagen. Mein Wunsch ist so stark, daß ich aus der Tür der Cafeteria blicke, in der Hoffnung, es warte dort einer auf mich. Doch ich sehe nur einen jungen Arzt, der mit einer Krankenschwester schäkert.
Ich wende mich an Fanis. »Wie schnell bekomme ich hier ein Taxi?«
Ich merke, wie sich zwei perplexe Augenpaare auf mich heften.
»Wozu brauchst du denn ein Taxi?« fragt Adriani mißtrauisch.
»Ich möchte einen Blick auf den Ort des Verbrechens werfen.«
»Du bist krank geschrieben, hast du das vergessen?«
Ihre Stimme hallt durch die Cafeteria, und die Leute recken neugierig die Köpfe nach uns. Offenbar habe ich sie mit meinem schrittweisen Streben nach Unabhängigkeit in den letzten Tagen überfordert, und nun geht es ihr zu weit. Ich trete aus der Cafeteria, damit wir kein öffentliches Schauspiel bieten.
»Kannst du mir ein Taxi rufen?« beharre ich Fanis gegenüber.
»Laß mal, ich fahre dich. Ich bin ohnehin nur deinetwegen geblieben. Ich hatte Nachtdienst, und der ist jetzt zu Ende.«
»Ich jedenfalls fahre nach Hause«, erklärt Adriani kategorisch. Sie hat die Miene einer unerbittlichen Gouvernante angenommen, die den Kleinen zwar nicht ohrfeigt, aber ihm zu verstehen gibt, daß Schokolade und Bonbons in Zukunft gestrichen sind. Irgendwie hat mir dieser Gesichtsausdruck gefehlt, und ich amüsiere mich darüber.
Fanis legt den Arm um ihre Schulter, nimmt sie beiseite und beginnt ihr ins Ohr zu säuseln. Dann läßt er sie los und ruft mir zu: »Wartet, ich hole den Wagen.«
Adriani ist an meine Seite zurückgekehrt, doch sie weicht meinem Blick aus. Ich wiederum müßte ihr eigentlich erklären, warum ich die beiden ermordeten Kurden in ihrer armseligen Behausung sehen will. Aber ich weiß selbst nicht, warum ich das will.
Fanis kommt herangefahren und bleibt vor uns stehen. Ich lasse Adriani neben ihm Platz nehmen. Ich versuche mir vorzustellen, was sie und Fanis vorhin besprochen haben und ob sie vorhat, mich zum Ort des Verbrechens zu begleiten. Dann werde ich nämlich zur Lachnummer. Doch ich wage nicht nachzufragen, ich überlasse es lieber dem Schicksal.
Aufatmend sehe ich, wie Fanis von der Messojion- in die Michalakopoulou-Straße einbiegt. Dadurch wird klar, daß wir sie nach Hause fahren. Als wir zum Pangrati-Platz gelangen, bittet sie Fanis anzuhalten.
»Laß mich hier aussteigen, Fanis. Ich muß noch ein paar Einkäufe erledigen.« Grußlos steigt sie aus dem Wagen. Das ist unser erster Krach seit etwa zwei Monaten, aber ich ärgere mich nicht darüber. Ich freue mich vielmehr, daß wir zu unserem alten Verhältnis zurückgefunden haben.
»Wie hast du sie dazu gebracht, ihre Meinung zu ändern?« frage ich Fanis neugierig.
»Mit dem Argument, daß du ohnehin nicht davon abzubringen bist und es besser wäre, wenn du in Begleitung deines Arztes fahren würdest.«
»Hast du vor, eine Autopsie zu machen?« frage ich. »Denn meinetwegen mußt du nicht mitkommen.«
»Ich warte im Wagen auf dich. Mich reizt diese Geschichte nämlich auch.«
Die reizt alle außer Gikas und Janoutsos, denke ich voll Bitterkeit. Dieser Gedanke zwingt mich zum Eingeständnis eines Grundes, der mich an den Ort des Verbrechens treibt: Ich möchte Janoutsos’ Gesichtsausdruck bei meinem Anblick sehen, da er mich doch gestern mehr oder weniger aus dem Büro gewiesen hat.
Als wir gerade am Nationalgarten
Weitere Kostenlose Bücher