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Live!

Live!

Titel: Live! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Trotzdem halte ich mich an unsere geheime Abmachung und setze mich auf meine gewohnte Bank. Der Park ist menschenleer wie immer, die Sonne dringt durch das Blattwerk, alles ist genau so, wie wir es das letzte Mal zurückgelassen haben, nur die Temperaturen sind gestiegen, und die Luft ist schwüler.
    Adriani blickt sich um und stößt einen freudigen Seufzer aus. »Das habe ich vermißt, weißt du. Wie schön war es doch, als wir jeden Nachmittag hierhergekommen sind.«
    Ich versuche mich zu besinnen, ob es wirklich schön war. Damals war ich so schlecht drauf, ein dermaßen willenloses Bündel, daß ich mich an nichts Schönes erinnern kann. Möglicherweise war es tatsächlich angenehm. Gewiß, die Tage flossen friedlich dahin. Doch da ich diese Leere durch nichts füllen konnte, war für mich Geruhsamkeit gleich Langeweile.
    Daher beschränke ich mich auf ein Schweigen, das auch Zustimmung bedeuten könnte, und vertiefe mich in Loukas Stefanakos’ Lebensgeschichte. Nach den ersten Seiten gewinne ich den Eindruck, Minas Logaras hätte eine einzige Biographie geschrieben und nur die Namen ausgetauscht. So sehr ähneln sich die beiden Lebensgeschichten. Favieros und Stefanakos stammen aus derselben sozialen Schicht und weisen denselben Werdegang auf: Volksschule, Gymnasium und danach Polytechnikum im Fall von Favieros, die juristische Fakultät bei Stefanakos.
    Ich stecke gerade mitten in Stefanakos’ kämpferischer Studentenzeit, als die Katze auftaucht. Sie bleibt zwischen den beiden Bänken stehen und blickt mich verdutzt an. Dann öffnet sie langsam ihren Mund. Ich erwarte, daß sie ihren Zorn darüber äußert, daß ich sie sitzengelassen habe. Doch es wird nur ein majestätisches Gähnen daraus, als würde sie allein mein Anblick schon unerträglich langweilen.
    »Sieh mal einer an, als hätte sie uns erkannt. Was so ein Tier nicht alles begreift!« staunt Adriani, die den Kopf von ihrer Stickerei gehoben hat.
    Die Katze klappt den Mund zu und springt mit hochgestrecktem Schwanz auf ihren gewohnten Platz, während ich mich wieder Stefanakos’ Biographie zuwende.
    Logaras überhäuft Stefanakos gleichermaßen mit Lorbeeren wie Favieros. Doch da ich jetzt alles quasi zum zweiten Mal lese, wirken diese Lobeshymnen gekünstelt, als fühle sich der Autor dazu verpflichtet, ohne wirklich überzeugt zu sein. Ich bin sicher, daß ich denselben Eindruck hätte, wenn ich nun Favieros’ Lebensbeschreibung wiederläse.
    Als ich Stefanakos’ Studentenjahre hinter mir lasse, die – ganz wie bei Favieros – die Hälfte des Buches einnehmen, ist es schon fast dunkel. Adriani erhebt sich halbherzig, und selbst ich würde lieber hier weiterlesen als in die stickige Wohnung zurückkehren.
    Gegen zehn greife ich wieder zur Biographie, nachdem ich eine langweilige Nachrichtensendung gesehen und einen Teller grüne Bohnen gegessen habe. Adriani besteht darauf, wenigstens im Sommer die Lebensmittelgifte zu meiden, was bedeutet, daß wir fast nur gekochtes Gemüse in Olivenöl oder Fisch aus dem Ofen zu uns nehmen.
    Stefanakos schlägt denselben Weg wie Favieros ein: Jahre im Widerstand, Kampf gegen die Junta und – nur kurz nach Favieros’ Inhaftierung – Festnahme durch die Militärpolizei. Beim Lesen geht mir der Gedanke durch den Kopf, Favieros und Stefanakos könnten sich in den Kerkern der Militärpolizei getroffen haben. Aber ich weise ihn von mir, da die Gefangenen der Militärpolizei in Einzelhaft gehalten wurden.
    Als wir zu Stefanakos’ parlamentarischer Karriere und politischer Profilierung kommen, warte ich schon ungeduldig darauf, daß sich der erste Schatten auf Stefanakos’ Bild legt. Und meine Einschätzung bewahrheitet sich kurz darauf.
    Die erste spitzzüngige Anspielung findet sich nach dem Kapitel von Stefanakos’ Hochzeit mit Lilian Stathatou. Logaras beschreibt, wie hart die Stathatou in den ersten Ehejahren gearbeitet habe, um das politische Profil ihres Ehemanns aufzubauen, während sie selbst völlig im Hintergrund blieb. Möglicherweise deshalb, weil sie jegliche Verknüpfung ihres Mannes mit ihrem Vater, Argyris Stathatos, vermeiden wollte. Gleichzeitig hatte sie jedoch genau dort, im Schatten ihres Mannes, eine emsige Tätigkeit als Unternehmerin entfaltet.
    Dieses Tätigkeitsfeld konzentrierte sich anfänglich auf Stathatous Werbeagentur namens STARAD , die sich genauso rapide entwickelte wie das Fernsehen. Verdächtig wird es dort, wo ich es nicht erwartet hätte: bei UNION CONSULTANTS , dem

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