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sich wieder zurückgemeldet und scheint uns gehörig quälen zu wollen. Bereits in der Nacht spürte ich den Wetterumschwung, als ich naßgeschwitzt in dampfenden Laken aufwachte. Nun ist es zehn Uhr morgens, und ich begebe mich zu den Büros des Verlags EUROPUBLISHERS in der Omirou-Straße. Ich fahre die Skoufa-Straße im Gefolge eines altersschwachen LKWS hoch, der mit Plastikstühlen beladen ist. Nicht genug damit, daß er mich bei seiner Fahrt fast zu ersticken droht. Nein, er muß auch vor jeder Ampel halten, und wenn er dann bei Grün losfährt, verpaßt er mir eine doppelte Dosis.
»Willst du deinen Auspuff nicht mal reparieren lassen?« frage ich den Fahrer, als ich das rettende Überholmanöver starte. »Man erstickt ja an den Abgasen.«
Er blickt mich, wortwörtlich und im übertragenen Sinn, von oben herab an. »Sag bloß, es hat schon Katalysatoren gegeben, als deiner gebaut wurde«, entgegnet er.
Der Verlag EUROPUBLISHERS residiert in der vierten Etage der Hausnummer 22. Am Empfang ist eine Büchervitrine an der Wand angebracht. Darin sind folgende Titel aufgereiht: ein Handbuch für Astrologie, ein medizinischer Ratgeber in zwei Bänden, ein Kochbuch, zwei Bildbände und eine Videokassette über die großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts sowie ein Büchlein über Körperpflege. Zwischen dem medizinischen Ratgeber und dem Kochbuch posiert Stefanakos auf dem Umschlagfoto seiner Biographie.
Unter der Büchervitrine sitzt eine Fünfunddreißigjährige mit knallrotem Haar an einem dieser Stahlrohrschreibtische, die es heute überall gibt, mit zwei Stühlen davor, die ebenfalls überall zu finden sind. Sie ist akkurat geschminkt und hat ein Top an, das sich eng um ihre Brust spannt und die mädchenhaften, sonnengebräunten Schultern frei läßt. Bestimmt war sie in ihren Jugendjahren Mannequin, und jetzt hat man sie als preisgünstigen, da den Jugendjahren entwachsenen Blickfang hierhergeholt.
Was sucht die Biographie eines engagierten linken Politikers wie Stefanakos in dieser Umgebung? Da ist mir Sarantidis mit seinem chaotischen Laden hundertmal lieber. Wenn er mittlerweile nicht in das erträumte Vierraumbüro umgezogen und ein Verleger wie alle anderen geworden ist.
»Was kann ich für Sie tun?« meint die Rothaarige mit Damenbaß.
»Kommissar Charitos. Ich hätte gerne mit dem Verlagsleiter gesprochen.«
Sie würdigt mich keiner Antwort, sondern hebt den Hörer ab und wählt eine interne Durchwahl. »Hier ist ein Herr –« Bevor sie meinen Namen nennen kann, ist er ihr auch schon entfallen. Daher blickt sie mich nochmals fragend an. »Wie war der Name noch?«
»Charitos … Kriminalkommissar …«
»Hier ist ein gewisser Herr Charitos, Kriminalkommissar, und er möchte Herrn Joldassis sprechen.« Am anderen Ende der Leitung erhebt sich offenbar ein Gezeter, denn sie sagt beschwichtigend: »Ist ja gut … Ich schicke ihn sofort rüber.«
Sie legt den Hörer auf die Gabel und bedenkt ihn dabei mit einem giftigen Blick. Dann meint sie, zu mir gewendet: »Die dritte Tür rechts«, und deutet zum Ende des Korridors.
Das Büro hinter der dritten Tür rechts sieht haargenau so aus wie die Rezeption. Die Sekretärin springt bei meinem Anblick hoch.
»Kommen Sie herein, Herr Kommissar. Herr Joldassis wird Sie sofort empfangen.«
Sie öffnet mir die Tür neben ihrem Arbeitsplatz und läßt mich eintreten. Der Fünfzigjährige hinter dem Schreibtisch ist großgewachsen, dünn und hat eine Hakennase, die fast bis zu den Lippen hinunterreicht. Er trägt ein Ensemble in Blautönen – ein himmelblaues T-Shirt und eine dunkelblaue Hose.
»Kommen Sie herein, Herr Kommissar«, meint er zuvorkommend. »Nehmen Sie bitte Platz.«
Der Raum wird von einer Klimaanlage gekühlt, die mir den Schweiß auf dem Rücken erkalten läßt. Nachdem wir die übliche Zeremonie hinter uns gebracht haben – höfliches Angebot eines Kaffees seinerseits, höfliche Ablehnung meinerseits – kommt er zur Sache und fragt mich liebenswürdig: »Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Kommissar?«
»Ich hätte da einige Fragen in bezug auf Loukas Stefanakos’ Biographie.« Seine Miene verändert sich schlagartig, und ich beeile mich festzustellen: »Es gibt keinen Anlaß zur Sorge.«
»Ich sorge mich nicht«, entgegnet er ganz ruhig. »Nur verstehe ich nicht, was die Herausgabe von Stefanakos’ Biographie mit seinem Selbstmord zu tun haben sollte.« Plötzlich kommt ihm die göttliche Eingebung, und er findet von selbst die
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