Live Fast, Play Dirty, Get Naked
kennst, zumindest eine Beschreibung von ihm bekommen?«
William lächelte wieder. »Ich hab eine Beschreibung von ihm … ehrlich gesagt, ich hab ungefähr ein Dutzend Beschreibungen. Das Problem ist nur, sie unterscheiden sich alle ein bisschen und sie sind so vage, dass es kaum lohnt, sich mit ihnen aufzuhalten. Er ist mittelgroß, mittelkräftig, zwischen dreißig und fünfzig … mal rasiert, mal trägt er Bart oder manchmal auch einen Schnauzer … er hat dunkle Haare … vielleicht braun oder schwarz oder grau …« William zuckte mit den Schultern. »Er ist ein Killer, Lili … es ist in seinem eigenen Interesse, so normal und uneinprägsam auszusehen, wie es nur geht. Deshalb muss ich tun, was ich tue, verstehst du … ihn kennenlernen und versuchen, ihn aus der Reserve zu locken … ich brauch einfach noch etwas Zeit mit ihm, das ist alles.«
»Verstehe … dann triffst du ihn also heute Abend?«
Er nickte. »Ist nur ein kurzes Treffen in einem Pub in Hornsey und ich zweifle sehr, dass ich irgendwas Brauchbares rausfinde, aber man weiß ja nie …«
»Klar«, sagte ich.
Er nahm meine Hand. »Wenn ich nächstes Mal vorbeikomme, sorge ich dafür, dass ich länger bleiben kann, okay?«
Ich nickte und versuchte zu lächeln, doch es war nicht okay. Es war überhaupt nicht okay. Mir gefiel nicht, was er tat, es machte mir Angst – außerdem war ich mir immer noch nicht im Klaren, ob er mir wirklich die Wahrheit sagte. Jedenfalls sicher nicht die ganze Wahrheit. Aber jedes Mal, wenn ich darüber nachdachte, jedes Mal, wenn ich michfragte: Was kann ich denn tun? Was soll ich machen? , landete ich bei derselben Antwort:
Ich wusste nicht, was ich tun konnte.
»Lili?«, fragte William.
Ich sah ihn an.
»Ich muss los«, sagte er. »Okay?«
»Ja«, sagte ich und küsste ihn zum Abschied. »Pass auf dich auf.«
Er grinste. »Immer.«
34
Es dauerte immer noch ein paar Monate, bevor die Punkmusik ihren großen Durchbruch hatte. Und ein wirklich englandweites Phänomen wurde sie überhaupt erst nach dem berüchtigten Liveauftritt der Sex Pistols in der TV-Sendung Today im Dezember (als sie in die Schlagzeilen gerieten, weil sie den Moderator Bill Grundy unflätig beschimpften). Doch viele würden sicher sagen, das eigentliche Ereignis, das den Punk erstmals einem breiteren Publikum präsentierte, war das 100 Club Punk Festival.
Das Festival war wieder so eine Idee von Malcolm McLaren. Zwei Nächte lang Live-Punk – von Montag, den 20., bis Dienstag, den 21. September – und alle großen Namen der Szene sollten dabei sein.
Abgesehen von Damned – die Anfang des Monats einen Vertrag mit Stiff unterschrieben hatten – waren wir die einzige Band mit einem Plattenvertrag, doch sämtliche Plattenlabels waren anwesend und schauten, was zu kriegen war. Auch die Presse war da – alle Musikblätter, aber auch ziemlich viele überregionale Zeitungen – und die Menge der Zuschauer war einfach gigantisch. Hunderte Punks aus dem ganzen Land standen an beiden Abenden Schlange, um reinzukommen.
Mit anderen Worten, das Ganze war ein richtig großes Ding.
An dem Abend, als wir spielten, war das meiste von der Performance her wirklich gut. Nur Siouxsie and the Banshees (mit Sid Vicious am Schlagzeug) waren abgrundtief schlecht, aber es war auch ihr allererster Gig und sie hatten eindeutig keine Songs und außerdem nicht die geringste Ahnung, wie sie spielen sollten, also war der grauenhafte Auftritt kein Wunder. Doch alle andern – The Subway Sect, The Clash, die Pistols – waren großartig. Vor allem die Pistols. Sie waren der Wahnsinn, so viel besser als das letzte Mal. Inzwischen klangen sie richtig wie eine Band .
Doch egal wie gut die Sex Pistols waren, sie waren nichts gegen uns. Wir waren einfach phänomenal . Ich weiß noch immer nicht recht, wieso wir an diesem Abend so gut waren – vielleicht hatte es mit dem Selbstvertrauen zu tun, das wir durch die Aufnahmesessions bekommen hatten –, auf jeden Fall war es eindeutig der beste Gig, den wir je gespielt hatten. Der Sound war super, das Publikum fantastisch und wir selbst hätten gar nicht besser sein können. Jeder Einzelne von uns spielte umwerfend, aber wir waren auch umwerfend als Band. Curtis war so großartig wie immer – hypnotisierend, dämonisch, wie ein Besessener wirbelte und taumelte er über die Bühne. Sein Gitarrenspiel war überirdisch und seine Stimme … Gott, so wie er in jener Nacht sang … es jagt mir noch immer einen Schauer über
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