Live Fast, Play Dirty, Get Naked
einen Scherz machte, aber da war irgendwas – das undeutliche Schimmern verborgener Düsternis –, das die Frage in mir wachrief … Was, wenn? Was, wenn er wirklich in der IRA war? Es hatte in den letzten Monaten eine Reihe von Erschießungen und Bombenanschlägen gegeben – in der Oxford Street, im Hilton Hotel, in der U-Bahn-Station Green Park – und im Dezember hatten bewaffnete Männer eine Wohnung in Marylebone besetzt, darunter vier IRA-Leute auf der Flucht vor der Polizei … das heißt, es gab keinen Zweifel, dass die IRA zu derZeit in London präsent war. Nicht dass das irgendwas bedeutete . Es hieß nur so viel: Es war nicht völlig unmöglich , dass William zur IRA gehörte. Äußerst unwahrscheinlich, ja. Aber nicht unmöglich. Und wenn er wirklich ein republikanischer Terrorist war – ein Killer, ein Mörder, ein Bombenleger …? Was würde das für mich heißen? Würde ich Angst vor ihm haben? Würde er mich abstoßen? Würde ich versuchen ihn zu verstehen? Oder würde ich ihn, wie er es gerade gesagt hatte, einfach anzeigen?
»Schon gut«, sagte er leicht dahin und berührte meinen Arm. »Ich mach nur Spaß.«
»Ich weiß.«
»Wirklich?«
»Ja …« Ich lächelte ihn an. »Ich meine, erstens bist du schon mal viel zu klein für einen Terroristen.«
»Ich bin nicht klein.«
»Aber du bist nicht groß .«
»Okay«, sagte er mit einem Grinsen. »Und woher willst du wissen, dass die IRA keine spezielle Zwergenbrigade hat?«
»Ich glaube, das hätte ich gehört, wenn es so etwas gäbe.«
»Nicht, wenn es eine geheime Zwergenbrigade wär.«
»Eine geheime Zwergenbrigade?«
»Ja …«
»Okay«, sagte ich und nickte. »Und wieso sollte die IRA eine geheime Zwergenbrigade brauchen?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Wieso nicht?«
»Ist geheim.«
Wir redeten noch eine Weile weiter, hauptsächlich über Naked – wie lange wir schon zusammen spielten, wie es mirgefiel, wie viele Auftritte wir schon hatten … solche Sachen –, und nach ungefähr zwanzig Minuten merkte ich plötzlich wieder, dass William nichts über sich erzählte, auch mir nicht. Er saß bloß da, rauchte und trank, völlig zufrieden damit, zuzuhören, wie ich plauderte und plauderte und seine Fragen beantwortete.
Doch in dem Moment, als ich es merkte und gerade anfangen wollte, ihm Fragen zu stellen, berührte er mich am Knie und zeigte durch den Raum auf Curtis. Er befand sich noch immer dicht vor der Bühne, aber jetzt saß er am Boden – die Beine verschränkt, den Kopf auf die Brust gesunken, die Augen fast zu, er saß einfach bloß da, völlig am Ende, während um ihn herum die Party weiterging.
»Gott …«, seufzte ich und schüttelte den Kopf.
»Sieht so aus, als ob er ein bisschen Hilfe brauchen könnte«, sagte William.
»Er könnte was ganz anderes brauchen«, murmelte ich vor mich hin.
»Vielleicht sollten wir ihn nach Hause bringen?«
»Ja, wahrscheinlich …« Ich sah mich in dem Raum um. »Hast du irgendwo Jake gesehen?«
»Der ist vor ungefähr zehn Minuten gegangen.«
»Er ist weggegangen?«
William nickte. »Mit einem Mädchen.«
»Welchem Mädchen?«
»Der kleinen Blonden mit dem Hundehalsband.«
Ich nickte, mich so halb an das Mädchen erinnernd. Ich wusste nicht, wer sie war, aber ich hatte Jake schon vorher mit ihr sprechen sehen.
Ich schaute wieder zu Curtis rüber. Er hatte sich nicht bewegt.
»Wie spät ist es?«, fragte ich William.
Er zuckte die Schultern. »Halb zwei, zwei … so was um den Dreh.«
»Echt?«
»Ja.«
»Scheiße«, sagte ich. »Um die Zeit fährt keine U-Bahn mehr. Wie sollen wir jetzt zurückkommen?«
»Mit dem Nachtbus?«
»Von wo?« Ich sah ihn an. »Ich weiß nicht mal, wo wir hier sind, geschweige denn, wo der Bus abfährt.«
William nickte. »Dann müssen wir wohl ein Taxi nehmen.«
»Ich hab nicht genug Geld für ein Taxi dabei. Das kostet um diese Zeit bestimmt ein Vermögen.«
»Und Curtis?«
Ich lachte. »Curtis hat nie Geld. Und du?«
William sagte nichts, sondern schaute mich nur einen Moment lang an, dann drehte er sich weg und sah sich in dem Raum um, als würde er irgendwen suchen. Ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte, und ich wollte ihn gerade fragen, als er plötzlich jemanden am anderen Ende des Raums ins Auge fasste.
»Bin gleich wieder da«, sagte er und stand auf.
»Wo willst du hin?«, fragte ich.
»Nirgendwohin«, antwortete er. »Nur zur Toilette.«
Ich sah ihm hinterher, als er zur anderen Seite des Raums ging, und
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