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Titel: Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein Thriller
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ihrer Zeit einige Male besucht hatte, bevor sie Ben getroffen und sich aus diesem Teil des New Yorker Lebens zurückgezogen hatte. Gwen war noch nicht einmal ein Funkeln in den Augen ihrer Eltern gewesen, als in den sechziger Jahren  das Village allein das mitternächtliche Herz New Yorks gewesen war.
     
    Einer ihrer Nachbarn, ein siebzig Jahre alter Künstler, der eines der Loft-Appartements in ihrem Haus bewohnte, hatte ihr Geschichten aus dieser Zeit erzählt. Und so lief sie manchmal am Abend durch die Straßen des Universitätsviertels und schaute sich die verfallenden, pockennarbigen Gebäude an. Dort war einmal eine Bar gewesen - nur ein verblichenes, mit psychedelischen Farben vor langer Zeit hergestelltes Schild erinnerte noch daran. Die Stadt erfand sich neu, neue Generationen kamen und gingen, nichts war wirklich von Bestand, nicht einmal die tiefe Wunde, die am 11. September 2001 geschlagen worden war, würde ewig offen bleiben.  Die Stadt erfand sich immer wieder neu. An der 9ten Straße hatte es einmal eine der besten In-Treffs der damaligen Szene gegeben. Gwen lächelte, wenn sie sich an die Stimme des alten Manns erinnerte.
     
    „Kleine“, hatte er mit seiner brüchigen, etwas nasalen Stimme zu ihr gesagt, als sie gerade erst nach New York gezogen war, „die hatten den besten Stoff, den es auf der Welt gab. Gras. Marihuana. LSD. Uppers. Downers. Alles gratis. Gehörte damals einfach dazu, weißt du?“
     
    Das Gebäude an der 9ten Straße wurde in den späten siebziger Jahren zu einem Appartementgebäude umgebaut, das für acht Loftwohnungen Platz bot, die zumeist an Banker vermietet worden waren. Diese waren Mitte der 70er wie eine kleine, aber gut bewaffnete Invasionsarmee aus dem nördlichen Financial District nach oben gezogen, vielleicht um einen Teil der späten Hippiekultur noch erleben zu können, wahrscheinlich aber einfach nur, weil sich das Village selbst überlebt hatte, die Kultur zerfiel und die Banker eine großartige Chance witterten, billig an gute, große Wohnungen zu kommen, die von den verfallenden Künstlern, den Szeneleuten und den hoffnungslos Verrückten nicht mehr bezahlt werden konnten. Das Village hielt dem Angriff noch ein paar Jahre stand, aber mit dem Beginn der achtziger Jahre wurden große Teile dieses Viertels nur noch von Finanzmanagern bewohnt. Nur einige der Besserverdienenden blieben hier.
     
    Das Village wurde kalt und grau, paßte sich dem Rest Manhattans an. Selbst wenn es hier nicht wie in Uptown Portiers und marmorverkleidete Eingangshallen gab, an denen Ben so sehr gehangen hatte, und die ihm anscheinend immer ein Gefühl von Sicherheit vermittelten, das, wie Gwen wußte, nie irgendwo in New York wirklich berechtigt war.
     
    Vielleicht, dachte sie, während sie die 8te Straße entlanglief, lag es an den Banker, die hier hingekommen waren. Vielleicht war das Grau mit ihnen gekommen. Und die Angst vor allem, was vorher einmal da gewesen war, die Farben und die Freaks.  
     
    Sie konnte die Neonreklame vom Harper‘s  in der Entfernung sehen. Auf der anderen Straßenseite lief ein kleiner, schäbig aussehender Hund durch einen Haufen von Müllsäcken, erschnüffelte einen Knochen aus dem Abfall und hielt das weiße Stück zwischen seinen Lefzen fest.
     
    Einige verfaulte Fleischreste hingen noch an dem Knochen. Der Hund knurrte leise, als er Gwen bemerkte und stieb dann zurück in die Dunkelheit, um sein neugefundenes Eigentum gegenüber Eindringlingen zu verteidigen.
     
    Gwen seufzte.
     
    Nur an einigen Stellen schimmerte das alte Village noch durch, wie eine doppelt belichtete Fotografie, die sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart zeigte. Wenn die Studenten tagsüber den Washington Square Park in Beschlag nahmen und mit ihren Rucksäcken auf dem Asphalt saßen, sich unterhielten und die Tauben dabei beobachteten. Wenn die kleinen Cafés an den Straßenrändern im Sommer randlos überfüllt waren und die schwarz-weiß bekleideten Kellner mit schnellen Bewegungen durch die Anhäufung der Tische gingen, auf einem ausgestreckten Arm ein Tablett mit verschiedenen Longdrinks, Obstsäften und – natürlich – kleinen, weißen Porzellantasse mit Cappucino.
     
    Abends, wenn Gwen durch die Scheiben eines der Restaurants sah und nicht nur die typischen, elegant bekleideten Menschen durch die Reflektion im Glas beobachten konnte, die nur zu einem neuen Restaurant gingen, weil es momentan im New Yorker  oder in der New York Times als besonders

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