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Liverpool Street

Liverpool Street

Titel: Liverpool Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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informierte Mamu auf einem der telegrammähnlichen Rotkreuzvordrucke, die alle paar Monate zwischen uns wechselten und denen ich kaum mehr entnehmen konnte, als dass sie und Tante Ruths Familie noch unter derselben Anschrift in Groningen wohnten, es ihnen »gut ging« und sie an mich dachten.
    Den Soldaten Walter Glücklich setzten wir kurz nach meinem Geburtstag in den Zug und es fühlte sich völlig anders an als die Verabschiedung der munteren Matrosen im letzten Vorkriegssommer. Dem Pionierkorps in Nordafrika anzugehören, war gewiss eine Ehre und nach dem langen trübseligen Londoner Winter glaubte ich Walter auch gern, dass er sich auf den Wüstenwind und das Leben in einem Beduinenzelt freute. Aber selbst diese wärmenden Aussichten konnten nur schwer darüber hinwegtäuschen, dass unsere Truppen gegen das deutsche Afrikakorps schwere Verluste erlitten. Dieser Abschied machte mir Angst.
    »Lass dich nicht abschießen und komm als Held zurück«, gab ich Walter mit auf den Weg und ein Elternpaar, das neben uns seinen Sohn umarmte, warf mir einen strafenden Blick zu. Sie konnten ja nicht wissen, dass ich nur einen gemeinsamen Freund zitierte.
    Und plötzlich musste ich an meinen eigenen Fortgang aus Berlin denken, an die Eltern von Jette, die mich mit ihren offenen Worten so empört hatten. Vielleicht hatte ich damals insgeheim schon geahnt, dass sie die Ehrlichsten von allen gewesen waren …
    Wie bei Garys Aufbruch ging alles viel zu schnell. Amanda gab Walter einen Kuss und er drückte sie fest, schüttelte Matthew die Hand und klopfte seinem eigenen Vater, der ihn bis zuletzt umzustimmen versucht hatte, verlegen auf den Rücken. Dann stieg er ein, tauchte noch einmal kurz zwischen anderen Soldaten am Fenster auf, um uns ein Victory-Zeichen entgegenzuhalten, aber als der Zug anfuhr, konnten wir ihn schon nicht mehr entdecken. »Ich werde nicht winken«, hatte er vorher angekündigt. »Macht nur traurig.«
    Aber wir vier winkten trotzdem, nur für den Fall, dass er heimlich hinausschaute.
    Dann war der Zug verschwunden und wir standen auf dem Bahnsteig, verloren in einer kleinen Menschenmenge aus zurückbleibenden Eltern und Familien, die sich genau wie wir zu fragen schienen, ob das alles gewesen war, ob sie wirklich jetzt nach Hause gehen sollten.
    »Möchten Sie zum Tee mit uns kommen?«, lud Amanda Herrn Glücklich ein.
    Der hüstelte, schüttelte den Kopf und bedankte sich leise, bevor er sich abwandte, ein gebeugter Mann im langen Mantel, den keiner von uns je viel hatte sagen hören, der aber immer, wenn wir einander begegneten, anschließend traurig davonging.
    Nun haben wir wieder zwei Männer im Krieg, dachte ich ernüchtert.
    Einige Tage später traf ein an Miss Frances Shepard adressierter Brief aus dem Ausbildungslager ein, in dem Walter in wenigen Wochen für Afrika fit gemacht werden sollte. Der Absender war ein gewisser W. Lightfoot und ich war so verstört, dass ich die bekannte Handschrift gar nicht beachtete.
    Das durfte nicht wahr sein! Walters Vorgesetzter schrieb an mich! Bereits im Ausbildungscamp war ihm etwas zugestoßen! Mit fliegenden Fingern riss ich noch im Flur den Umschlag auf.
    Amanda, die mein Aufheulen hörte, eilte aus der Küche herbei. Auf halbem Wege warf ich mich ihr an den Hals. »Sie haben seinen Namen geklaut!«, schluchzte ich.
    Erstaunt befreite sie eine Körperhälfte aus der Umklammerung, kniff die weitsichtigen Augen zusammen und hielt Walters Brief auf Armeslänge von sich. »Er durfte nicht mit einem deutschen Namen in die britische Armee!«, heulte ich. »Sie haben ihm drei neue vorgeschlagen und er hat sich für Lightfoot entschieden. Lightfoot! Herzlichen Glückwunsch! Dieser Idiot!«
    Plötzlich wurde ich wütend – Walter hatte es wieder einmal geschafft. »Ist sein Englisch so schlecht, dass er Leichtfuß für eine Art Glücklich hält?«
    Erbittert schob ich Amanda beiseite, um mir die Nase zu putzen. »Nun, er konnte sich wohl kaum Happy oder Lucky nennen«, erwiderte Amanda. »Oder Frolic, falls das auch zur Wahl stand.« Mit wachsender Empörung sah ich, dass sie sich nur mühsam das Lachen verkniff. »Ehrlich gesagt finde ich, dass Lightfoot einen gewissen Charme hat, vor allem für einen Mann von Walters Statur. Stell dir nur vor, wie er damit durch die Wüste schwebt.«
    »Das ist nicht komisch!«, wies ich sie zurecht und nahm ihr den Brief wieder aus der Hand, um ihn ein zweites Mal zu überfliegen. »Dieser Trottel ist fast im Delirium,

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