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Liverpool Street

Liverpool Street

Titel: Liverpool Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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ich mitkommen und die Karten abreißen!«
    Professor Schueler ging sofort auf den Themenwechsel ein und erzählte mir von dem Kino in München, in dem er früher regelmäßig gewesen war, bevor die Braunen es mit ihren scheußlichen Hetzfilmen verpestet hatten, wo man schon die Plakate nicht ansehen mochte, ach! Für mich, die noch nie zuvor im Kino gewesen war, würde die morgige Vorstellung mit Sicherheit eine großartige Erfahrung werden, selbst wenn sie nur in einem gewöhnlichen Saal stattfand und nicht zu vergleichen war mit dem echten Erlebnis, dem genussvollen Einsinken in weiche Polster und dem unvergleichlichen Moment, wenn sich die Vorhänge leise surrend beiseiteschoben und die noch dunkle Leinwand preisgaben, mit all ihren Verheißungen und ihrem unbedingten Willen zu verführen! Ich sollte ihm unbedingt beim nächsten Mal alles berichten, was ich erlebt hatte, und den ganzen Film, den natürlich auch!
    Während er erzählte, konnte ich beobachten, wie der normale Betrieb im Café Vienna weiterging. Dies war nun schon mein dritter heimlicher Besuch und mittlerweile hatte ich gemerkt, dass dort nicht nur mit heißer Schokolade gehandelt wurde. Man ging ins Café Vienna , um Neuigkeiten über die Ereignisse in Deutschland und Österreich auszutauschen, um als Neuflüchtling praktische Hilfe zu erhalten. Man konnte sogar seinen Namen und seine Adresse hinterlegen für den Fall, dass ein Bekannter in London eintraf.
    Auch ich hatte meinen Namen in das Buch geschrieben, und zwar meinen richtigen Namen, Ziska Mangold, Tochter von Franz und Margot Mangold aus Berlin-Neukölln. Den Namen Glücklich hatte ich zu meiner Enttäuschung nicht gefunden, obwohl es doch Walter gewesen war, der mir vom Café Vienna erzählt hatte. Stattdessen entdeckte ich unter »G« eine Gloria Grün aus Berlin und ergötzte mich an der Vorstellung, dass es vielleicht meine Lehrerin Fräulein Grün aus der jüdischen Schule war.
    »Das Leben als Flüchtling kennt auch schöne Tage«, hatte Professor Schueler angemerkt, als er meine Begeisterung über das Adressbuch beobachtete. Aber er hatte sehr traurig dabei ausgesehen und mir nicht verraten, an wen er gedacht hatte, als er vor über drei Jahren seinen eigenen Namen einschrieb. Er war alt, vielleicht gab es niemanden mehr, der zu ihm gehörte. Plötzlich fühlte ich mich ganz schuldig wegen meiner Freude und legte das Buch schnell wieder an seinen Platz zurück.
    Und auch meine Aufregung über den Kinobesuch versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen. »Ich muss ja die Karten abreißen«, spielte ich den Ausflug herunter. »Wenn es losgeht, finde ich bestimmt nur noch einen Platz ganz hinten und kann vom Film fast nichts sehen.«
    Ausgeliehen! Sie hat mich ausgeliehen! Was meint sie nur damit?

    Es war ein komisches, etwas unbehagliches Gefühl, allein mit Dr. Shepard zu fahren – demjenigen aus meiner Pflegefamilie, den ich bisher am wenigsten kannte. Von ihm wusste ich nur, dass er im Krieg in Frankreich gewesen und seitdem ein Liebhaber alles Französischen war. Neben dem Betrieb seines Kinos schrieb er Filmbesprechungen für Zeitungen und es stand sogar ein Buch im Wohnzimmerregal, das seinen Namen auf dem Umschlag trug: The Early French Movie Theatre, by Matthew G. Shepard. Das G stand für Gabriel. Auch Gary hatte bei seiner Beschneidung einen zweiten, hebräischen Vornamen erhalten: Aaron.
    Der Film, den Dr. Shepard im East End zeigen wollte, kam aus Amerika und hieß »The Kid«, und um ihn vorführen zu können, mussten wir ein Gerät mitnehmen, das nur mit knapper Not ins Auto passte. »Das ist ein mobiles Filmtheater!« Dr. Shepard ächzte unter dem Gewicht. »Ermöglicht … den Einsatz … fast überall.«
    Ich stand daneben, während er sich abmühte, und hielt die Kasse mit dem Wechselgeld und den Eintrittskarten, die ich von einer Rolle abreißen und den Kindern aushändigen sollte. Im Eingang würde niemand stehen, der die Karten kontrollierte, aber Dr. Shepard wollte, dass die Kinder für den Penny, den sie bezahlten, eine ordentliche Eintrittskarte bekamen. Es würden auch Kinder da sein, die kein Geld hatten. Die sollte ich ohne Aufhebens zu ihm schicken, damit sie von ihm den Penny erhielten und sich mit den anderen anstellen konnten.
    »Sie bezahlen ihnen das Kino?«, staunte ich.
    Über Dr. Shepards Gesicht huschte ein verschmitzter Ausdruck. »Nein, wieso? Sie geben mir das Geld doch sofort zurück …«
    Ich musterte ihn verstohlen von der

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