Lizenz zum Kuessen
Platzanweiser umdrehte, sah sie ihn die Rampe hinaufrennen, die zum Sportlereingang führte. Die beiden Boxer waren mittlerweile im Ring angelangt und widmeten sich ihrem Tanzritual.
»Ich muss los«, sagte Z’ev. »Wir hatten abgemacht, dass du hier wartest, bis ich zurück bin, okay?«
»Ja, okay«, sagte sie und lächelte extra strahlend, weil sie genau das nicht vorhatte. Val durfte einfach nicht Recht haben - und Nikki würde es ihr beweisen.
Als Z’ev den Mittelgang hinauflief - dank seiner Größe inmitten der kleinen Thais bestens zu sehen -, klingelte Nikkis Handy.
»Hey«, meldete sich Nikki. Sie nahm an, dass Val dran war.
»Hi, Nikki, hier ist Jane. Ich habe jetzt die meisten Daten entschlüsselt, die du mir von dieser SIM-Karte geschickt hattest. Wir haben zwar noch nicht alle Telefonnummern zuordnen können, haben aber schon etwas ziemlich Beunruhigendes gefunden, das du dir mal anschauen solltest. Es ist ein Bild, das auf Victors Handy war.«
Ein besonders saftiger Hieb ließ Narbengesicht zu Boden gehen, und für den Bruchteil einer Sekunde sah Nikki ihm direkt in die Augen, als er keine zwei Meter von ihr entfernt auf der Matte lag. Der plötzliche Blickkontakt traf Nikki wie ein Schock und ließ sie alles andere vergessen und sich ganz auf den Boxkampf konzentrieren.
»Jane, das kommt gerade ziemlich ungelegen. Könntest du deswegen nicht Val anrufen?«
»Sie geht nicht ran. Wenn es dir gerade nicht passt, lege ich jetzt auf, aber ich wollte dich vorwarnen, ehe ich dir das Bild schicke.«
»Ja klar, kein Problem, ich schaue es mir mal an«, sagte Nikki, während sie sich nach Z’ev und dem mysteriösen Platzanweiser umschaute. Beide waren verschwunden. Sie packte ihr Handy weg und dachte nach. Was sollte sie jetzt tun? Und warum ging Val nicht ans Telefon? Leise Alarmglocken schrillten in ihrem Kopf, aber sie ignorierte sie und versuchte, sich auf Z’ev zu konzentrieren.
Narbengesicht war wieder auf den Beinen und ging erneut in die Offensive. Ihrer Einschätzung nach hätte Narbengesicht Elektroschockfrisur locker schlagen können, aber scheinbar war heute nicht sein Tag. Er kämpfte so langsam und schwerfällig, dass sein Gegner leichtes Spiel mit ihm hatte.
»Na«, sagte Victor, der sich plötzlich auf dem freien Platz neben ihr niederließ, »wer gewinnt?« Sein dunkles Haar war über der flachen, breiten Stirn und der schiefen Nase glatt zurückgegelt, was ihn wie ein aus trügerischem Gewässer aufgetauchtes Reptil aussehen ließ - ein Eindruck, der durch sein schlammgrünes Hemd aus Alligatorenleder-Imitat mit grell orangefarbenen Nähten noch unterstützt wurde. Nikki erstarrte und saß stocksteif da.
»Der Typ mit der Narbe«, sagte sie betont beiläufig und hoffte, ganz cool zu klingen. »Wenn er sich endlich mal zusammenreißt.«
»Das wird er nicht«, erwiderte Victor und lächelte zufrieden.
Nikki sah sich suchend nach Z’ev um und hoffte, dass er endlich zurückkäme.
»Ich glaube, ich müsste dann langsam …«, sagte sie und stand auf.
»Ich glaube, Sie sollten mir Gesellschaft leisten«, meinte Victor, packte sie beim Handgelenk und drückte sie wieder auf ihren Stuhl. »Wo ist er?«
»Wo ist wer?«, fragte Nikki unschuldig.
»Tun Sie nicht so.« Victor hielt sie so fest, dass es wehtat. »Wo ist Jim? Ich weiß, dass er hier irgendwo ist. Sagen Sie mir, wo er steckt.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, erwiderte Nikki und versuchte, einen klaren Kopf zu behalten. Auf solche Situationen hätte das Training sie vorbereiten sollen. Es gab ganz bestimmte Strategien, um sich jetzt angemessen zu verhalten. Sie hatte sogar eine Checkliste gehabt, die sie auswendig konnte. Erster Schritt: Bedrohungslage einschätzen. Mmh, ja … Victor könnte ihr und der Mission durchaus gefährlich werden. Zweiter Schritt: Fluchtplan entwerfen. Ähm …
»Sie glauben wohl, ich hätte euch beide gestern Abend im Club nicht zusammen gesehen, was? Der Typ hat was vor, und ich denke, dass Sie mir jetzt verraten werden, was er vorhat. Nicht wahr, meine Süße?«
Er packte ihren Arm so kräftig, dass sie hin und her geschüttelt wurde, und zum ersten Mal schaute Nikki ihm direkt in die Augen. Jetzt reichte es.
Dritter Schritt: Fluchtplan notfalls mit Gewalt umsetzen.
Thailand IX
Noch mehr Schlägerei
Plötzlich herrschte Aufruhr am Sportlereingang. Nikki und Victor schauten auf und sahen einen Mann in kurzärmeligem gelbem Hemd und brauner Polyesterhose die Rampe
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