Lizenz zum Kuessen
Aber darum
ging es erst mal gar nicht. Den Job habe ich vor allem deshalb angenommen, weil ich irgendetwas Sinnvolles mit mir anfangen wollte. Seit mein Mann gestorben ist und meine Töchter aus dem Haus sind, hatte ich das Gefühl, nur noch zu Hause rumzuhängen und den ganzen Tag zu essen.«
»Oh, das kenne ich«, seufzte Nikki. »Seit ich mit dem Studium fertig bin, war ich zwar nicht wirklich arbeitslos, aber chronisch unterbeschäftigt. Und wenn man schon tagsüber vor der Glotze hängt, dreht man irgendwann durch.«
Ellen lachte, und ihre braunen Augen funkelten. »Du sagst es. Irgendwann konnte ich keine einzige Folge von Matlock mehr ertragen. Seit meine Töchter auf dem College waren, kam ich mir einfach nutzlos vor. Also habe ich angefangen, für Carrie Mae Kosmetik zu verkaufen, und nebenbei ziemlich viel Zeit auf dem Schießplatz verbracht. Eines Tages hat mich eine der Frauen aus meiner Verkaufsgruppe zum Tee eingeladen. Dabei erzählte sie mir von einem ›Trainingscamp‹, in dem ich mich dafür ausbilden lassen könnte, Frauen in aller Welt zu helfen. Die Idee gefiel mir, und deshalb bin ich hier.«
»Es ist immer gut, ein Ziel vor Augen zu haben«, sagte Nikki und merkte jetzt erst, wie wahr diese Worte waren. Ellen nickte ernst, und ihr Gesicht, das unter dem grauen Haar noch so jung wirkte, nahm einen derart mitfühlenden Ausdruck an, dass Nikki verlegen beiseitesah.
»Tadellos«, befand Jenny, die derweil Nikkis Arbeit begutachtet hatte. »Jetzt geht es ans Schießen. Such dir eine aus.«
Nikki nahm sich einen Revolver, weil sie den einfacher zum Nachladen fand.
»Gute Wahl. Einer meiner Lieblinge«, meinte Jenny und lächelte. »So. Richte ihn auf das Ziel.« Nikki tat wie geheißen.
»Wenn du jetzt vorne auf den Lauf schaust«, fuhr Jenny fort, »siehst du so ein kleines Ding mit einem orangefarbenen Punkt drauf.« Nikki schaute und entdeckte tatsächlich einen orangefarbenen Punkt. »Okay. Und da hinten, zwischen Trommel und Griff, siehst du eine kleine Einkerbung.« Nikki sah sie und nickte. »Jetzt versuchst du, die Kerbe und den orangefarbenen Punkt auf eine Linie zu bringen und dabei dein Ziel nicht aus den Augen zu lassen.«
Nikki hob die Hände, neigte die Waffe, bis der orangefarbene Punkt zwischen der Einkerbung war, zielte und schoss. Dann marschierten sie alle hinaus zum Zielbereich, um das Loch zu begutachten, das Nikki dem Pappkameraden in die linke Hüfte geschossen hatte. Nachdem ihr erster Treffer gebührend bejubelt worden war, kehrten sie an ihre Plätze zurück.
»Wie hast du denn so gut Schießen gelernt?«, wollte Nikki von Jenny wissen, während sie abermals ihr Ziel ins Visier nahm.
»Von meiner Mama. Sie war mal Miss Georgia«, sagte Jenny stolz.
»Eine ehemalige Miss Georgia hat dir das Schießen beigebracht?«, fragte Ellen ungläubig.
»Also, ich weiß ja nicht, wie das bei euch auf der Highschool war, aber bei uns in Georgia bekommst du ohne Waffenschein kein einziges vernünftiges Date. Meine großen Brüder haben mir gezeigt, wie man mit einer Waffe umgeht. Aber meine Mama war es, die mir beigebracht hat, wie ich jede Kugel genau dahin bekomme, wo ich sie haben will.«
»Na, dann werde ich zu der nächsten Schönheitskönigin, die mir über den Weg läuft, mal lieber etwas netter sein!«, meinte Ellen lachend.
Sie übten so lange weiter, bis Nikki ziemlich zuverlässig
ins Schwarze traf - was sie aber keineswegs von ihren Schießfertigkeiten überzeugte.
»Was, wenn ich bis morgen wieder alles verlernt habe?«, fragte sie auf dem Rückweg.
»Ach was«, zeigte Jenny sich zuversichtlich. »Das klappt schon. Und was meinst du, wenn die anderen erst sehen, wie du …« Weiter kam sie nicht, denn Dina kam ihnen sichtlich aufgebracht aus dem Haus entgegen.
»Wenn ihr noch auf den Schießplatz gehen wolltet, hättet ihr mir Bescheid sagen müssen!«, rief sie. »Ich bin die Teamleiterin. Ich bin es, die darüber entscheidet, wann zusätzliche Übungsstunden anberaumt werden.«
»Tut mir leid, Dina«, sagte Ellen freundlich. »Wir wollten dich damit nicht behelligen und sind nicht davon ausgegangen, dass du mitkommen wolltest, nachdem du heute Morgen erst wieder gesagt hast, wie gut deine Ergebnisse beim letzten Training waren.« Dina schien hin- und hergerissen zwischen den gleichermaßen erschreckenden Optionen, entweder zuzugeben, dass sie selbst auch noch gern geübt hätte oder aber Ellen Recht zu geben.
»Darum geht es doch gar nicht«, sagte sie
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