Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
unmissverständlich: Wir müssen diejenigen töten, die uns töten wollen. Exekutionen als Prävention im Kampf gegen den palästinensischen Terrorismus – das wurde Benjamin (Bibi) Netanjahus Glaubensbekenntnis. »Eine rein passive Verteidigung führt nicht zu ausreichender Abschreckung gegen Terrorismus und Staaten, die ihn fördern«, schrieb er 1995 in seinem Buch »Fighting Terrorism«. Vielmehr sei es an der Zeit, »intensiv und ernsthaft über aktive Maßnahmen der Verteidigung nachzudenken – durch angemessene vorsorgliche Operationen gegen Terrorgruppen, bevor sie zuschlagen können«. Die kursive Hervorhebung stammt von Netanjahu selbst.
Das Oslo-Abkommen im August 1993 zwischen Israel und den Palästinensern zur Einleitung eines Friedensprozesses und der Lösung des Nahostkonfliktes brachte keine entscheidende Wende. Netanjahu, der jetzt auch eine politische Karriere im konservativen Likud-Block anstrebte, sah jedenfalls keinen Grund, von seiner Doktrin abzurücken. Eher im Gegenteil: Die Bedrohung durch den palästinensischen Terrorismus nahm in den Jahren nach Oslo eher noch zu.
Als »Bibi« Netanjahu im Mai 1996 erstmals zum Regierungschef in Jerusalem gewählt wurde, verdankte er dasauch einer Welle palästinensischer Selbstmordanschläge. Schimon Peres, der in den Umfragen vorn gelegen hatte, war es nicht gelungen, die Terrorattacken und den damit verbundenen Vertrauensverlust in seine Politik zu stoppen. Im Februar und März des Jahres waren von der Hamas mehrere Attentate verübt worden, die insgesamt mehr als sechzig Menschen das Leben gekostet hatten. In schrecklicher Erinnerung blieben zwei Anschläge kurz hintereinander auf die Buslinie Nr. 18 in Jerusalem. Die Morde stellten eine Reaktion der Hamas auf die Liquidierung ihres 29-jährigen Bombenbauers Yehiya Ayyash dar. Der war im Januar 1996 vom Geheimdienst Shin Bet exekutiert worden. Israelische Agenten hatten ihm ein mit 15 Gramm Plastiksprengstoff präpariertes Mobiltelefon untergeschoben und dann per Funk gezündet.
Zu jener Zeit rekrutierten auch der Islamische Dschihad und die Al-Aqsa-Brigaden von Arafats Al-Fatah zunehmend junge Leute, die sich mit Sprengstoffgürteln in israelischen Restaurants, Bars und vor allem in Bussen in die Luft sprengen sollten. Netanjahu fand genau die Situation der Eskalation palästinensischer Gewalt vor, die zehn Jahre zuvor von ihm beschrieben worden war. Und jetzt also saß er als »Falke« in Jerusalem an den Schalthebeln der Macht und konnte sein Credo endlich umsetzen: vorbeugende Exekutionen statt Rache für vergangene Anschläge, Prophylaxe statt Therapie.
Auch der Widerspruch zu den Prinzipien des Rechtsstaats, in dem die Gewaltenteilung gilt, wurde fortan ignoriert. Nach dem Gesetz konnte das höchste israelische Gericht zwar bei einer Verurteilung wegen schwerster Verbrechen während des Holocaust die Todesstrafe verhängen, seit dem Prozess gegen den Nazi-Massenmörder Adolf Eichmann im Jahre 1961 hatte diese aber nie mehr vollstrecken lassen. Aber hier ging es ohnehin nicht die von der Justiz nach einem öffentlichen Gerichtsverfahren, bei dem es das Recht auf Verteidigung und auf einen fairen Prozess gab, sondern um von geheimen Komitees ranghoher Offiziere aus Armee und Geheimdiensten erarbeitete und dann vom Regierungschef sanktionierte Todesurteile.
Doch dem Falken wurden schnell die Flügel gestutzt: Im September 1997, im zweiten Jahr seiner Regentschaft als Premierminister, befahl er eine Mossad-Operation gegen das Hamas-Mitglied Khaled Meshal in Amman, die wohl mehr dem Muskelspiel als sachlicher Notwendigkeit diente. Zudem handelte es sich, anders als er selbst gefordert hatte, um einen Vergeltungsschlag und keine vorsorgliche Antiterrormaßnahme, denn der palästinensische Funktionär war bis dahin nicht durch die Planung von Terroranschlägen auffällig geworden. Der Mossad hatte ihn ausgewählt und dem Regierungschef offeriert, weil er ein »weiches« Ziel darstellte, der Erfolg also garantiert schien. Die Folgen sind bekannt: Der Giftanschlag wurde entdeckt und das Verhältnis zu König Hussein unwiderruflich zerstört, der Mossad musste dem jordanischen Geheimdienst das Gegengift für Meshal aushändigen, um wenigstens die eigenen Agenten freizubekommen; und zu allem Überdruss wurde Netanjahu gezwungen, den spirituellen Hamas-Führer Scheich Ahmad Yassin freizulassen (siehe S. 260). Es war eine politische Katastrophe ohnegleichen für den sonst vor Selbstbewusstsein
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