Lizenz zur Zufriedenheit
Welt viele Institutionen, die einen entsprechenden Verlust abfedern können – aber dies kognitiv zu durchdringen, dazu sind kleine Kinder noch nicht in der Lage.
Diese enge Form der Bindung zwischen Kindern und ihren Eltern ist einerseits eine großartige Erfindung der Natur; sie sichert den Fortbestand unserer Art. Auf rein individualpsychologischer Ebene können daraus jedoch später Probleme erwachsen, z. B. wenn sie sich von ihrer „vergifteten“ Art 220 zeigte.
Schauen wir uns dafür ein durchaus lebensnahes Beispiel an:
Ein Vater bringt seinem achtjährigen Sohn das Schachspiel bei. Da der Vater beruflich viel unterwegs ist, sind diese gemeinsamen Stunden eine der wenigen Gelegenheiten, in denen eine echte Beziehung zwischen den beiden entstehen kann. Nun hat der Vater eine sehr auf Wettbewerb ausgerichtete Natur und beginnt dementsprechend früh, echte Partien gegen den Sohnemann zu spielen – wobei er seinem Sohn zu Anfang noch klar überlegen ist. Nun mag es aber sein, dass der Sohn wiederum mit einem sehr großen Talent für das „Spiel der Könige“ gesegnet ist, was schon nach recht kurzer Zeit dazu führt, dass er dem Vater ebenbürtig wird und ihn schließlich immer häufiger auch besiegen kann. In einer perfekten Welt würde der Vater sein Kind dafür nun überschwänglich loben und sich wie ein Schneekönig freuen, einen solch intelligenten Sohn zu haben. In einer weniger als perfekten Welt (und in einer solchen leben wir ...) ist aber auch gut Folgendes denkbar: Der Vater fühlt sich in seinem Stolz bzw. Selbstwert verletzt – und lässt die Schachpartien immer häufiger ausfallen, um sie schließlich ganz aufzugeben. 221
Im Modell der Welt des Sohnes mag sich nun folgende Gleichung etablieren: Wenn ich besser werde als mein Vater, dann verliere ich offensichtlich die Zuneigung jener Person, von der ich sie mir am sehnlichsten wünsche. Vor diese Wahl gestellt, entscheiden sich sicherlich einige wenige Kinder für sich selbst, für ihren Erfolg und die ihm inhärente Zufriedenheit. Bei den meisten wird jedoch der Wunsch nach Zuneigung überwiegen. Sie werden sich fortan (unbewusst) kleinhalten, um weiter dazugehören zu können. Und je nachdem, wie stark das „Kind im Manne“ später im Leben noch ausgeprägt ist, desto hinderlicher wird sich dieser Wunsch nach Zugehörigkeit über viele Lebenssituationen hinweg auswirken.
Die potenziell zufriedenheitshemmende Wirkung unserer frühen Bindung beruht aber keineswegs nur auf fehlgeleiteten Erziehungsmethoden wie in dem vorigen Beispiel. Sie entsteht mitunter „einfach so“. Das elterliche Umfeld bietet ja nicht nur Nahrung und Schutz – Vater und Mutter sind auch die „kognitive und emotionale Blaupause“ für das Kind. Wie man spricht, wie man sich bewegt, wie die Welt an sich funktioniert: All das lernt das Kind primär in der Interaktion mit den Eltern. Es findet ein ungeheuer großer und notgedrungen völlig ungefilterter „Download“ statt 222 – das elterliche Modell der Welt wird so gut es geht auf das Kind übertragen. Darin enthalten – neben ganz praktischen Dingen wie der Umgang mit Messer und Gabel – sind auch folgende Bedeutungskonstrukte:
Werte: Was (oder wer) ist gut und böse? 223
Normen: Wer (oder was) ist normal, wer sind „wir“ und wer sind „die anderen“?
Emotionales Klima: Welche Gefühle sind (in welcher Intensität) erwünscht und erlaubt und welche sind quasi verboten? 224
Grenzen der Welt: Was ist grundsätzlich möglich, was liegt aber auch jenseits der Vorstellungskraft? Oder spezifischer: Was ist zwar grundsätzlich möglich, nur eben nicht „für unsereins“?
Legen Sie das Buch bitte gleich noch mal für ein paar Minuten zur Seite und überlegen Sie eine Weile, wie es früher „bei Ihnen zu Hause“ war: Was waren die Themen, über die man sich bei Tisch unterhalten hat? Krieg? Verlust? Krisen? „Die da oben“? „Es wird alles immer schlimmer“? Wurde überhaupt geredet oder eher geschwiegen? Generell: Wie war die Stimmung? Wurde viel gelacht, oder musste man dafür „in den Keller gehen“? Hat man sich Zuneigung offen gezeigt, oder war das höchstens hinter verschlossener Tür erlaubt? Wurde auch mal gelobt, oder hieß es: „Nicht geschimpft ist Lob genug“? Ebenfalls sehr erhellend: Welche Sprichwörter und Binsenweisheiten wurden in Ehren gehalten? In vielen Familien werden selbstbeschränkende kleinmachende Sprüche tradiert, nach Art von: „Ein Nagel, der heraussteht, wird
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