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Lob der Faulheit

Lob der Faulheit

Titel: Lob der Faulheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Hohensee
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flüchtete, sondern sich duckte und freudig mit dem Schwanz wedelte. Der Bär ging darauf ein. Die beiden tollten eine Viertelstunde herum. Anschließend wanderte der Eisbär weiter. Dieses Spiel wiederholte sich sieben Tage lang. »Hudson« und der Eisbär waren »ziemlich« beste Freunde geworden. Dann war das Eis dick genug geworden, sodass der ebenso hungrige wie verspielte Eisbär sich auf die Jagd nach Robben machen konnte.
     
    Normalerweise hätte man erwartet, dass der Eisbär den Schlittenhund sofort oder an einem der folgenden Tage frisst. Aber das Vergnügen am Spiel war stärker als sein Hunger und seine Überlebensinstinkte.
     
    Ist es nicht kläglich, dass ein hungriger Eisbär verspielter ist als wir, die wir satt sind und im Überfluss leben?

    Wie Arbeit zum Spiel wird
    »All work and no play makes Jack a dull boy« lautet ein englisches Sprichwort. Wer nur arbeitet und nie spielt, wird stumpfsinnig. Das Wort »dull« hat viele Bedeutungen, die alle präzise die Folgen mangelnden Spiels umschreiben: langweilig, eintönig, glanzlos, stumpf, matt, grau, trüb, dumpf, beschränkt, begriffsstutzig, langsam, abgestumpft.
     
    Die Notwendigkeit des Spiels wird ebenso deutlich, wenn es um Meisterschaft geht. Viele haben eine vollkommen falsche Vorstellung davon, wie man es schafft, auf einem Gebiet erstklassige Leistungen zu erbringen. Sie wissen nur, dass alle Champions dieser Welt sehr viel üben, egal ob es sich um SportlerInnen, PianistInnen, ChirurgInnen oder SchachspielerInnen handelt.
     
    Aber was bringt die MeisterInnen ihres Fachs dazu, mehr zu trainieren als die anderen? Disziplin und Willensstärke, sagen die Anhänger harter Methoden. No pain, no gain – ohne Schweiß kein Preis. Aber das stimmt nicht. Nur mit Disziplin, Selbstverleugnung und Leiden kommt man nicht an die Spitze. Ganz nach oben schafft man es nur, wenn man gerne trainiert. Nur wenn man liebt, was man tut, will man immer weitermachen. Mesut Özil, erst 23 Jahre alt, aber mit Real Madrid bereits Spanischer Fußballmeister und Pokalsieger, hat auf die Frage, ob er nicht auch mal das Bedürfnis habe, keinen Ball zu sehen, geantwortet: »Wenn ich drei oder vier Wochen Urlaub habe, spüre ich, ohne Ball geht es nicht. Dann spiele ich mit meinen Freunden. Ich brauche das.«

     
    Weder Geld noch Medaillen noch Ruhm noch Anerkennung reichen aus, um täglich stundenlang zu üben. Zu Spitzenleistungen kann man sich nur motivieren, wenn einem die Sache selbst unendlich viel Spaß macht. Sonst empfindet man das Training bald als langweilig und strapaziös. Disziplin kann Spaß und Spiel nicht ersetzen. Mit Willensstärke allein bringt man es nie zu wahrer Meisterschaft. Andreas Iniesta ist mit Sicherheit einer der besten Fußballspieler der Welt. Er gewann mit seinem Club FC Barcelona fünfmal die spanische Meisterschaft, zweimal den spanischen Pokal und dreimal die Champions League. Mit der spanischen Nationalmannschaft wurde er bisher einmal Weltmeister und zweimal Europameister. Was sagt er? »Ich spiele nicht, um Weltfußballer zu werden, sondern weil es Spaß und mich glücklich macht.«
     
    Selbst wenn es um Leben und Tod geht, kann Spiel von größter Bedeutung sein. Ich erinnere mich an einen Bericht über einen Gehirnchirurgen, der sich auf die Operation von Aneurysmen (krankhafte Arterienerweiterungen) spezialisiert hat und zu den absoluten Meistern seines Fachs zählt. Obwohl diese Eingriffe leicht tödlich enden können, hat sein Tun große Eleganz und Leichtigkeit. Er spielt mit dem Gewebe, zupft daran, beobachtet dabei die kleinsten Details. Selbstverständlich setzt sein Können Übung und Erfahrung voraus. Trotzdem lassen sich die Elemente des Spiels bei den extrem riskanten Operationen nicht leugnen: Neugier, Spannung, mögliche Überraschungen, die Fähigkeit zur Improvisation, Selbstvergessenheit, Flow, höchste Konzentration bei gleichzeitiger vollkommener Entspanntheit. Das alles machte für diesen meisterhaften Chirurgen den Reiz seines Berufs aus.

     
    Ein anderer könnte die Last der Verantwortung vielleicht nicht tragen. Angesichts der möglichen Folgen wäre es verständlich, wenn jemand sich völlig verkrampfen würde. Dann wären kleinste feinmotorische Bewegungen der Finger ausgeschlossen. Die Katastrophe wäre vorprogrammiert.
     
    Vielleicht haben Sie einmal beobachtet, wie gelöst die schnellsten SprinterInnen der Welt laufen. Nicht die Nummer 20, auch nicht die Nummer 5, aber der Mann oder die Frau an

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