Lobgesang auf Leibowitz
an der Zeit, daß ich Euch mit unserem Gründer bekannt mache«, brummte er und zeigte auf die Holzfigur in der Ecke. »Er war Wissenschaftler wie Ihr, bevor die Welt wahnsinnig wurde und er um ein Asyl rannte. Er gründete diesen Orden, um von den Schriften der letzten Hochkultur zu retten, was zu retten war. ›Retten‹, wovor und wofür? Seht Ihr, wo er steht – seht Ihr die Flammen, die Bücher? So wenig wollte damals die Welt von Eurer Wissenschaft wissen, und das für Jahrhunderte nachher. So starb er denn um unsretwegen. Als man ihn mit Heizöl übergoß – so heißt es in der Legende –, bat er um einen Becher davon. Man glaubte, er hielte es irrtümlicherweise für Wasser; man lachte und gab ihm einen Becher. Er segnete ihn und – einige behaupten, daß sich das Öl in Wein verwandelte, als er es segnete –, und dann: >Hic est enim calix Sanguinis Mev<, dann trank er es, bevor man ihn aufknüpfte und verbrannte. Soll ich Euch eine Liste unserer Märtyrer vorlesen? Soll ich all die Kämpfe anführen, die wir ausfochten, um diese Schriften unberührt zu erhalten? All die Mönche, die in der Kopierstube erblindeten? Euretwegen? Und doch behauptet Ihr, daß wir nichts damit angefangen hätten, daß wir es durch unser Schweigen zurückgehalten hätten?«
»Ohne Absicht natürlich«, sagte der Gelehrte, »aber tatsächlich habt ihr es getan – und aus genau den Gründen, nach denen ich mich richten soll, wie Ihr mir zu verstehen gebt. Wenn Ihr versucht, die Weisheit zurückzuhalten, bis die Welt vernünftig ist, dann, Vater, wird die Welt sie nie besitzen.«
»Ich sehe jetzt ein, daß wir uns grundsätzlich mißverstehen!« sagte schroff der Abt. »Gott als Höchstem zu dienen, oder Hannegan – vor diese Wahl seid Ihr gestellt.«
»Nun, da bleibt mir fast keine Wahl«, antwortete der Thon. »Soll ich für die Kirche arbeiten?« Der Spott in seiner Stimme war unüberhörbar.
22
Es war Donnerstag der Oktav, der Festwoche nach Allerheiligen. Der Thon und seine Begleiter bereiteten ihren Aufbruch vor; im Keller ordnete man seine Notizen und Schriften. Um den Thon hatten sich einige Mönche als Zuschauer versammelt, und wie die Zeit der Abreise näherrückte, wurde die Stimmung freundlicher. Über ihren Köpfen zischte und leuchtete immer noch die Bogenlampe und füllte die alte Bibliothek mit bläulichweißer Grelle, während eine Gruppe Novizen voll Überdruß den handgetriebenen Dynamo in Schwung hielt. Die Ungeübtheit des Novizen, der oben auf der Leiter saß, den Kohlenabstand konstant zu halten, machte das Licht unregelmäßig flackern. Er hatte die Stelle des vorigen geschickten Gehilfen übernommen, der gegenwärtig in der Krankenstube mit feuchten Umschlägen über den Augen ans Bett gefesselt war.
Thon Taddeo hatte Fragen, die seine Tätigkeit betrafen, mit weniger Zurückhaltung als gewöhnlich beantwortet. So strittige Gegenstände wie die Eigenschaft des Lichts, gebrochen zu werden, oder die Bestrebungen Thon Esser Shons beunruhigten ihn anscheinend nicht mehr.
»Also, wenn die Hypothese nicht gänzlich falsch ist«, sagte er gerade, »dann muß es möglich sein, sie auf irgendeine Weise durch Beobachtung zu erhärten. Ich habe diese Hypothese mit Hilfe einiger neuer – oder eigentlich einiger sehr alter – mathematischer Formeln aufgestellt, die uns die Untersuchung eurer Memorabilien nahelegte. Diese Hypothese scheint eine einfachere Erklärung optischer Phänomene zu bieten, aber, ehrlich gesagt, mir fiel zunächst nicht ein, wie ich das experimentell nachprüfen könnte. Und hier war euer Bruder Kornhoer eine große Hilfe.«
Er nickte lächelnd dem Erfinder zu und breitete den Entwurf einer geplanten Versuchsanordnung aus.
»Was stellt das dar?« fragte jemand nach kurzem, verwirrtem Schweigen.
»Also, das hier ist ein Stapel Glasplatten. Ein Sonnenstrahl, der auf den Stapel in diesem Winkel auftrifft, wird teilweise reflektiert, zum Teil durchdringt er ihn. Der reflektierte Teil wird dabei polarisiert. Nun ordnen wir den Stapel so an, daß der Strahl durch dieses Dings hier – ein Einfall Bruder Kornhoers – fällt, und lassen das Licht auf diesen zweiten Stapel Glasplatten fallen. Der zweite Stapel ist so im Winkel dazu angeordnet, daß er fast den ganzen polarisierten Strahl reflektiert und fast nichts von ihm durchläßt. Wenn wir durch das Glas hier blicken, können wir das Licht kaum sehen. Das ist alles ausprobiert. Wenn aber jetzt meine Hypothese richtig ist, so
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