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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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zurecht.
    Plötzlich flog die Tür auf. Schwester Helene kam mit einem Tablett voll soeben ausgepackter Glasbehälter. Erschrocken sprang der Mönch in seiner Wanne auf die Füße.
    »Bruder Joshua!« kreischte die Schwester, und ein halbes Dutzend gläserner Meßbecher zerklirrten auf dem Boden.
    Der Mönch setzte sich mit einem Wasserschwall nieder, der den Raum überflutete. Schwester Helene gluckste, stotterte, quietschte, stieß das Tablett auf einen Labortisch und floh. Joshuaschwang sich aus der Wanne und schlüpfte in seine Kutte, ohne sich die Mühe des Abtrocknens zu machen oder seine Unterhose anzuziehen. Als er zur Tür gelangte, war Schwester Helene schon nicht mehr im Korridor – vielleicht war sie schon nicht mehr im Gebäude und bereits auf dem Weg zur Kapelle der Schwestern weiter unten. Verärgert beeilte er sich, seine Arbeit zu beenden.
    Er leerte den Saugapparat und schüttelte eine Staubprobe in ein Meßglas, trug das Meßglas zum Labortisch, setzte Kopfhörer auf und hielt das Meßglas in genauem Abstand von dem Detektor eines Strahlungsmessers, während er auf seine Uhr blickte und lauschte. Der Kompressor besaß einen eingebauten Messer. Joshua drückte den Knopf mit der Bezeichnung RÜCKTASTE. Die wirbelnde Dezimalskala glitt auf Null zurück und begann erneut zu zählen. Nach einer Minute brach er ab und notierte das Ergebnis auf seinem Handrücken. Es handelte sich vorwiegend um reine Luft, die er gefiltert und komprimiert hatte; aber dennoch, da war ein Hauch von etwas anderem in ihr.
    Er verschloß das Labor für diesen Nachmittag, stieg hinunter zu dem Büro im nächsten Stockwerk, schrieb die Messung auf eine Wandtafel, beäugte den verblüffenden Aufwärtstrend der Kurve, dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und knipste das Videophon an. Er wählte nach dem Gefühl, seine Augen hingen immer noch an der verräterischen Wandkarte. Der Bildschirm wurde hell, der akustische Empfänger piepste, die Kamera richtete sich auf einen leeren Schreibtischstuhl scharf ein. Nach ein paar Sekunden glitt ein Mann auf den Stuhl und schaute in die Kamera. »Abt Zerchi«, grunzte Abt Zerchi. »Ah, du bist’s, Bruder Joshua. Ich wollte dich gerade anrufen. Hast du gebadet?«
    »Ja, Vater Abt.«
    »Du könntest wenigstens rot werden!«
    »Ich bin’s.«
    »Na, gut, auf dem Bildschirm sieht man’s nicht. Hör zu. Auf dieser Seite der Autobahn hängt direkt vor unserem Tor ein Schild. Du hast es natürlich bemerkt, nicht wahr? Darauf steht Frauen! Achtung! Tretet hier nicht ein, oder…, na und so weiter. Du hast das Schild doch bemerkt?«
    »Sicher, Vater.«
    »Nimm künftig deine Bäder auf dieser Seite, hinter dem Schild.«
    »Bestimmt!«
    »Kasteie dich, weil du das Schamgefühl der Schwester verletzt hast. Ich bin mir darüber im klaren, daß du keins besitzt. Hör mal, ich glaube, du kannst es nicht einmal fertigbringen, an dem Becken vorüberzugehen, ohne splitterfaserbabynackt hineinzuhüpfen und drin herumzuplanschen.«
    »Wer hat Euch das gesagt, Vater Abt? Ich meine, ich habe doch bloß so meine Beine…«
    »Ach, wirklich? Nun, gut. Warum hast du mich angerufen?«
    »Ihr wünschtet, daß ich Spokane anrufe.«
    »Ach, ja. Und hast du?«
    »Ja.« Der Mönch kaute an einem Fetzchen vertrockneter Haut auf seinen vom Wind aufgesprungenen Lippen. Er zögerte verlegen. »Ich habe mit Vater Leone gesprochen. Sie haben es auch bemerkt.«
    »Die zunehmenden Strahlungsmessungen?«
    »Das ist noch nicht alles.« Er zögerte wieder. Er wollte es nicht gern sagen. Wenn man eine Tatsache mitteilte, schien sie stets mehr Wirklichkeit zu gewinnen.
    »Nun?«
    »Es hängt mit dieser seismischen Störung von vor ein paar Tagen zusammen. Es ist mit den Winden in der Stratosphäre aus jener Richtung gekommen. Wenn man alle Fakten zusammen betrachtet, hat es ganz den Anschein wie Fallout einer Zündung in mittlerer Höhe im Megatonnen-Bereich.«
    »Ach!« seufzte Zerchi und bedeckte seine Augen mit der Hand. »Luciferum ruisse mihi dicis?«
    »Ja, Vater Abt, ich fürchte, es war eine Atomwaffe.«
    »Ein Fabrikunglück ist ausgeschlossen?«
    »Ja.«
    »Aber wenn Krieg wäre, würden wir’s doch wissen. Ein ungesetzlicher Test? Aber das kann auch nicht sein. Wenn sie einen Test machen wollten, könnten sie ihn auf der erdabgewandten Seite des Mondes oder noch besser des Mars vornehmen, und man würde ihnen nicht draufkommen.« Joshua nickte.
    »Also, welche Schlußfolgerung bleibt noch?« fuhr der Abt fort.

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