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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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»Eine Machtdemonstration? Ein Erpressungsversuch? Ein Warnschuß vor den Bug?«
    »Was anderes fiel mir auch nicht ein.«
    »Immerhin erklärt das den Verteidigungsalarm. Andererseits war nichts in den Nachrichten, nur Gerüchte und Ausflüchte. Und ein tödliches Schweigen aus Asien.«
    »Aber der Raketenstart muß doch von einem der Beobachtungssatelliten bemerkt worden sein. Außer – ich sage das höchst ungern, aber –, außer jemand hat eine Methode entdeckt, eine Rakete aus dem Raum auf die Erde zu schießen, an den Satelliten vorbei, die erst am Ziel entdeckt werden kann.«
    »Ist das möglich?«
    »Es ist davon gesprochen worden, Vater Abt.«
    »Die Regierung weiß Bescheid. Die Regierung muß Bescheid wissen. Wenigstens ein paar von den Leuten. Und dennoch erfahren wir nichts. Wir werden vor der Hysterie geschützt. Bezeichnen die das nicht so? Wahnsinnige! Die Welt ist seit fünfzig Jahren in einem gewohnheitsmäßigen Krisenzustand. Fünfzig? Was sag ich. Es war ein Krisenzustand seit dem Anbeginn – aber ein halbes Jahrhundert war er nahezu unerträglich. Und warum, um Gottes willen? Was ist der grundlegende Störfaktor, die Essenz der Spannung? Ideologien? Wirtschaft? Bevölkerungsexplosion? Disparität von Kultur und Glaube? Frage ein Dutzend Experten, und du erhältst ein Dutzend verschiedene Antworten. Und nun, Luzifer. Wieder! Ist die menschliche Rasse eine Rasse von erblich Geisteskranken? Bruder? Wenn wir als Irrsinnige geboren werden, wo bleibt da noch die Hoffnung auf den Himmel? Durch den Glauben allein? Oder gibt es gar keine Hoffnung? Vergib mir, Gott, ich weiß nicht, was ich sage! Höre, Joshua – «
    »Vater?«
    »Sobald du mit deiner Arbeit fertig bist, komm hierher… Dieses Radiogramm… Ich mußte Bruder Patrick in die Stadt schicken und es übersetzen und auf regulärem Weg senden lassen. Ich möchte, daß du da bist, wenn die Antwort kommt. Weißt du, worum es sich handelt?« Bruder Josuha schüttelte den Kopf.
    »Quo peregrinatur grex.«
    Joshua wurde langsam bleich. »Soll also stattfinden, Vater?«
    »Ich bin gerade dabei, herauszufinden, wieweit der Plan gediehen ist. Erwähne es keinem gegenüber. Und natürlich bist du davon betroffen. Suche mich hier auf, wenn du fertig bist.«
    »Gewiß, Vater.«
    »Chris’tecum.«
    »Cum spiri’tuo.«
    Die Verbindung wurde abgebrochen, der Bildschirm wurde dunkel. Es war warm im Raum, doch Joshua fröstelte. Er schaute aus dem Fenster in das verfrühte staubdüstere Dämmerlicht. Er konnte nicht weiter sehen als bis zum Sturmzaun entlang der Autobahn, auf der die vorüberhastende Prozession von Lastwagenscheinwerfern wandernde Lichthöfe in den Staubdunst zeichnete. Nach einer Weile bemerkte er, daß jemand am Tor stand, dort wo die Straße sich zur Auffahrtrampe der Autobahn hin öffnete. Die Gestalt war undeutlich als Silhouette erkennbar, wenn die Scheinwerfer-Nordlichter vorüberhuschten. Joshua zuckte wieder fröstelnd zusammen.
    Die Silhouette war ganz eindeutig die von Mrs. Grales. Kein anderer Mensch wäre bei so schlechten Sichtverhältnissen erkennbar gewesen, aber die Umrisse des Stoffbündels auf ihrer linken Schulter und die Art, wie ihr Kopf sich nach rechts neigte, machten das Ganze zu der einzigartigen Silhouette der Old Ma’am Grales. Der Mönch zog die Vorhänge vor das Fenster und machte Licht. Die Deformierung der alten Frau störte ihn nicht, stieß ihn nicht ab; die Welt war solchen genetischen Fehlfabrikaten und grimmigen Witzen der Chromosomen gegenüber desinteressiert geworden. Seine linke Hand wies immer noch eine feine Narbe auf, dort, wo man ihm in seiner Kindheit einen sechsten Finger wegoperiert hatte. Aber das Erbe des Diluvium Ignis war etwas, das er unter den gegebenen Umständen im Augenblick vergessen wollte, und Mrs. Grales war einer der auffallendsten Erben.
    Er strich über einen Erdglobus, der auf seinem Tisch stand. Er setzte ihn in Bewegung, so daß der Pazifik und Ostasien an ihm vorbeiglitten. Wo? Wo genau? Er drehte den Globus rascher, versetzte ihm ab und zu kleine Hiebe, bis die Erde sich drehte wie ein Glücksrad, schneller und schneller, bis die Kontinente und Ozeane sich verwischten. Faites votre jeu, mein Herr, meine Dame: Wo? Er hielt den Globus abrupt mit dem Daumen an. Die Bank: Indien zahlt aus. Nehmen Sie Ihren Gewinn, meine Dame. Die Weissagung war willkürlich. Wieder drehte er den Globus, bis die Axialbefestigung ratterte. »Tage« wischten vorüber als kürzeste Momente –

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