Lobgesang auf Leibowitz

Cheroki, das nächstemal, daß der Priester wieder seine Runde ritt. »Du solltest dich nicht von den Hirngespinsten der anderen beunruhigen lassen. Du hast Schwierigkeiten genug mit deinen eignen«, sagte ihm der Priester, nachdem er ihn wegen der Vernachlässigung der Exerzitien und Gebete getadelt hatte. »Sie denken sich Fragen wie diese nicht auf der Grundlage dessen aus, was wahr sein könnte: sie brauen ihre Fragen daraus zusammen, was aufsehenerregend sein müßte, wenn es wahrhaftig geschehen könnte. Es ist lächerlich. Ich muß dir mitteilen, daß der Ehrwürdige Vater Abt dem ganzen Noviziat befohlen hat, die Sache auf sich beruhen zu lassen.« Nach einer kurzen Pause fuhr er unglücklicherweise fort: »Sag, war da tatsächlich nichts an dem alten Mann, was auf Übernatürliches hinwies?« In seiner Stimme schwang nur eine allerleichteste Spur hoffnungsvoller Verwunderung.
    Bruder Francis wunderte sich selbst. Wenn irgendein Hinweis auf das Übernatürliche vorhanden gewesen war, hatte er es nicht bemerkt. Andrerseits aber, wenn man die Menge von Fragen in Betracht zog, auf die er keine Antwort gewußt hatte, so war ihm nicht gerade viel aufgefallen. Die Fülle der Fragen hatte ihn empfinden lassen, daß sein Versagen beim Beobachten auf irgendeine Weise tadelnswert war. Nach der Entdeckung des Bunkers hatte sich seine Dankbarkeit dem Pilger zugewendet. Aber er hatte die Ereignisse nicht gänzlich in Hinsicht auf seine eignen Interessen ausgelegt, in Übereinstimmung mit seiner Sehnsucht nach einem Fünkchen Klarheit. Klarheit darüber, ob die Hingabe seines Lebens an die Mühsal des Klosterlebens nicht so sehr von seinem eigenen Willen getragen wurde als vielmehr von der Gnade, die den Willen befähigte, aber nicht zwang, richtig zu entscheiden. Vielleicht war den Ereignissen eine tiefere Bedeutung eigen, die er in seiner vollständigen Selbstversunkenheit nicht erkannt hatte.
    Was hältst du von deiner eignen abscheulichen Eitelkeit?
    Meine abscheuliche Eitelkeit ist die der Katze, die Vogelkunde studierte, wie in der Fabel.
    Der Wunsch, seine endgültigen und ewigen Gelübde abzulegen – war er nicht dem Beweggrund der Katze ähnlich, die Ornithologe werden wollte? –, auf daß sie die eigne Vogelfresserei herausputzen könne, und zwar Passer domesticus esoterisch zu verspeisen, Hausspatzen jedoch nie zu fressen. Denn, so wie die Katze von Natur aus zum Vogelfresser bestimmt ist, so wurde Francis von seiner natürlichen Anlage getrieben, all das wissen zu wollen, was in jenen Tagen gelehrt werden konnte, und es heißhungrig einzusaugen. Da es keine anderen Schulen gab als die der Klöster, hatte er zuerst das Habit eines Postulanten, später das eines Novizen angezogen. Aber wie durfte er annehmen, daß Gott und die Natur dazu ihm ein Zeichen gegeben hatten, Mönch, Profeß des Ordens zu werden?
    Was sonst hätte er tun können? Es gab keine Rückkehr in seine Heimat, zu den Utahleuten. Er war als kleines Kind einem Schamanen verkauft worden, der ihn zum Diener und Gehilfen ausgebildet hätte. Aber weil er weggelaufen war, konnte er nicht zurückkehren, es sei denn in die gräßlichen Arme der »Stammesgerichtsbarkeit«. Er hatte das Eigentum eines Schamanen gestohlen (seine eigene Person), und obwohl die Räuberei bei den Utahleuten als ehrenwerter Beruf angesehen wurde, galt sie als todeswürdiges Verbrechen, wenn der Zauberer des Stammes das Opfer des Diebes war. Außerdem würde er keine Lust gehabt haben, nach seiner Schulzeit in der Abtei wieder in das vergleichsweise primitive Dasein analphabetischer Schäfer zurückzusinken.
    Aber was sonst? Der Kontinent war nur dünn besiedelt. Er dachte an die Wandkarte in der Bibliothek des Klosters, an die spärliche Verteilung schraffierter Flächen, die Gebiete wenn auch nicht der Zivilisation, so doch einer staatlichen Ordnung bezeichneten, wo eine gewisse Form gesetzlicher Staatsgewalt herrschte, die über Stammesverhältnisse hinausging. Der restliche Erdteil war sehr dünn von den Wald-und Steppenleuten besiedelt, die meistenteils nicht wild lebten, sondern in einfache Sippenverbände gegliedert waren, die hier und da in kleinen Ansiedlungen locker miteinander verbunden waren. Sie lebten von ^Jagen und Sammeln, von primitivem Ackerbau. Ihre Geburtenrate war kaum hoch genug (die Mißgeburten und Spottgestalten abgerechnet), um die Bevölkerung zu erhalten. Die Hauptgewerbe des Kontinents, ein paar Küstengebiete ausgenommen, waren Jagd, Ackerbau,