Lobgesang auf Leibowitz
kein Zeichen, das auf den Räuber schließen ließ. Die Sonne durchdrang die Baumwipfel und bedeckte den Boden mit Schattenflecken. Der Wald war nicht dicht, bot aber Schatten. Er setzte sich neben dem Pfad nieder, um zu warten.
Mittags schrie eine Eule in der verhältnismäßig dunklen Tiefe einer fernen, trockenen Schlucht. In einem Fleck Himmelsblau über den Wipfeln kreisten Geier. Der Wald schien heute friedlich. Wie er so schläfrig den Spatzen zuhörte, die im nahen Buschwerk herumflatterten, war es ihm reichlich gleichgültig, ob der Räuber heute kommen würde oder morgen. Seine Reise dauerte so lang, daß er während des Wartens nicht unglücklich darüber sein würde, in den Genuß eines Ruhetages zu kommen. Er saß da und beobachtete die Geier. Manchmal ließ er sein Auge dem Pfad folgen, der zu seiner fernen Heimat in der Wüste führte. Der Räuber hatte eine vorzügliche Stelle zu seinem Lager gewählt. Von dieser Stelle aus konnte man in beiden Richtungen fast zwei Kilometer des Wegs überblicken, ohne hinter dem Blätterwall des Waldes entdeckt zu werden.
Weit entfernt auf dem Pfad bewegte sich etwas.
Bruder Francis schirmte seine Augen mit der Hand und blickte aufmerksam zu der fernen Bewegung hin. Den Weg hinunter breitete sich eine sonnenbeschienene Fläche aus, wo ein Waldbrand einige Tagwerk Land entlang dem Pfad, der nach Südwesten ging, freigelegt hatte. Im sonnenüberglänzten Abschnitt flimmerte der Weg unter einem flüssigen Spiegel aus Hitze. Er konnte wegen der gleißenden Spiegelungen nichts genau erkennen, doch mitten in der Hitze bewegte sich etwas. Da war ein sich drehendes und windendes schwarzes Jota. Manchmal schien es einen Kopf zu haben. Dann wurde es wieder völlig von gleißender Hitze aufgesogen. Nichtsdestoweniger konnte er feststellen, daß es allmählich näher kam. Als einmal der Rand einer Wolke die Sonne streifte und das Flirren der Hitze für Augenblicke aussetzte, konnten seine müden und kurzsichtigen Augen feststellen, daß es sich bei dem tänzelnden Jota wirklich um einen Menschen handelte, daß aber die Entfernung zu groß war, um mehr zu erkennen. Ein Zittern überlief ihn. Irgend etwas am Jota war ihm zu wohlbekannt.
Nicht doch, es konnte einfach nicht dasselbe sein.
Der Mönch bekreuzigte sich und ließ die Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten, während er seine Augen fest auf das ferne Ding im Hitzeglast gerichtet hielt. Während er auf den Räuber gewartet hatte, war höher oben am Berghang eine Beratung abgehalten worden. In flüsternden einsilbigen Worten war die Beratung geführt worden und hatte fast eine Stunde gedauert. Jetzt war die Beratung zu Ende. Doppelkapuze hatte Einkapuze nachgegeben. Die Papstkinder schlichen zusammen leise hinter ihrem Buschplateau hervor und krochen den Hang hinunter.
Sie kamen bis auf zehn Meter an Francis heran, bevor der erste Kiesel ins Rollen geriet. Der Mönch murmelte gerade das dritte Ave des vierten Glorreichen Geheimnisses, als er sich zufällig umsah.
Der Pfeil fuhr ihm genau zwischen die Augen.
»Essen! Essen! Essen!« plärrte das Papstkind.
Auf dem Weg in den Südwesten setzte sich der alte Wanderer auf einen Baumstumpf und schloß die Augen, damit sie sich von der Sonne erholen könnten. Er fächelte sich mit einem zerschlissenen Strohhut Kühlung zu und kaute an einem Priem aus Gewürzkräutern. Er war schon lange gewandert. Die Suche schien kein Ende zu nehmen, doch bestand immer die Hoffnung, hinter dem nächsten Hügel, nach der nächsten Krümmung des Weges das zu finden, was er suchte. Er hörte auf, sich zu fächeln, stülpte sich den Hut wieder auf den Kopf und kraulte sich den Bart, während er in der Gegend umhersah. Gerade vor ihm am Hang befand sich ein Stück Wald, das nicht abgebrannt war. Es versprach willkommenen Schatten, aber der Wanderer blieb in der Sonne sitzen, um die eigenartigen Geier zu beobachten. Sie hatten sich gesammelt, kreisten ziemlich tief über dem Waldstück. Ein Vogel wagte es, zwischen den Bäumen niederzugehen, flatterte aber schnell wieder in Sicht, flog mit starken Schlägen, bis er eine Säule aufsteigender, warmer Luft gefunden hatte, und begann aufwärts zu segeln. Die düstere Heerschar der Aasfresser schien mehr angestrengten Aufwand an Flügelschlagen zu treiben als gewöhnlich. Sonst segelten sie, um Kraft zu sparen. Jetzt aber peitschten sie die Luft über dem Hang, als könnten sie es nicht erwarten zu landen.
Solang die Geier gierig
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