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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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durch das Schwert umgekommen war, ein Kind, am Fieber gestorben. Tief in sich fürchtete sie ein ähnliches Schicksal für sich selbst. Ihr eigenes Kind war eine Totgeburt gewesen, durch die Kunst der Flussfrau zurück ins Leben geholt, und selbst jetzt lebte es nur wegen der Pulver, mit denen sie und Lynnae es versorgten. Und ihr eigener Ehemann … Jin konnte gar nicht zählen, wie oft er während des Krieges einem gewaltsamen Ende haarscharf entgangen war. Und sie dachte daran, dass er nun auf der Suche nach ihrem Vater bald unbekannten Zielen entgegensegeln würde, und nur die Götter wussten, was ihn unterwegs erwartete. Diese Bürde lag schwer auf ihrem Herzen und kalt in ihrem Magen.
    Jin erkannte plötzlich, dass sie in ein langes und unbehagliches Schweigen verfallen war, unterbrochen von dem Blubbern des kochenden Wassers.
    Lynnae erhob sich und wischte sich über die Augen. »Lasst es mich machen, edle Dame Tam«, sagte sie.
    Jin zwang sich dazu, sitzen zu bleiben, und beobachtete, wie das Mädchen zum Ofen ging und heißes Wasser in die Teekanne goss. Sie stellte sie zusammen mit zwei Tassen auf ein Tablett und kam zurück; das Tablett platzierte sie auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen. Sobald Lynnae sich hingesetzt hatte, wechselte das Mädchen das Thema. »Gibt es Neuigkeiten in der Welt?«, fragte sie.
    Jin Li Tams Blick wanderte zurück zu dem Korb, und sie seufzte. Schon bald würde sie dorthin zurückkehren, Nachrichten verschlüsseln, Vögel herbestellen und Berichte von zwei Dutzend
Agenten durchlesen, die für Rudolfo arbeiteten. Sie richtete ihre Gedanken wieder auf die gestrigen Nachrichten und gab Acht, alles zurückzuhalten, was heikel war. »Winteria hat sich selbst ausgerufen«, erzählte sie. »Man sagt, es war fünfhundert Meilen weit zu hören. Pylos und Turam haben ihre Anstrengungen erhöht, ihre inneren Unruhen zu ersticken, und ihre Armeen verstärkt. Ansylus wurde letzte Woche feierlich bestattet, die Neun Wälder waren dazu nicht eingeladen, haben aber trotzdem einen Botschafter hingeschickt.«
    Lynnae runzelte die Stirn. »Gibt es auch Neuigkeiten aus dem Delta?«
    Jin nickte. »Eine weitere Stadt hat sich Esarov und seinen Demokraten angeschlossen. Es gehen Gerüchte, dass Erlund doch nicht getötet worden ist – dass an seiner Stelle ein Doppelgänger starb.«
    »Das überrascht mich nicht. Er hat Dutzende davon, und …« Lynnae verstummte, und Jin Li Tam bemerkte, wie ihre Wangen rot wurden.
    Sie hat mir etwas offenbart, das ein einfacher Flüchtling niemals wissen würde. Jin öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber in diesem Augenblick klopfte jemand an der Tür. Mit einem scharfen Blick in das Gesicht des Mädchens erhob sie sich und ging zur Tür, um sie einen Spaltbreit zu öffnen. Ein Späher wartete dort, in den Händen hielt er einen kleinen Vogel umschlossen.
    »Der ist gerade für Euch angekommen«, sagte er. »Uns gehört er nicht, wir erkennen ihn nicht einmal.«
    Aber Jin erkannte ihn; die gelben Zeichen auf seinem kleinen Kopf ließen keinen anderen Schluss zu, und ihr Atem stand still, als Hoffnung in ihr aufkam. »Was trägt er für eine Nachricht?«
    »Der Vogel ist verwundet«, sagte der Späher. »Wir haben Euren Namen auf der Botschaft gesehen und sie nicht geöffnet.«
    Er streckte die Hände aus und entließ das kleine, zitternde Geschöpf sanft in ihre ausgestreckten Handflächen. Zuckend legte
es sich hin, noch während sie vorsichtig am weißen Garn der Bundschaft zupfte, mit dem die zerfledderte Nachricht an dem winzigen Bein befestigt war. In einer Hand hielt sie den Vogel, mit der anderen öffnete sie die kleine Rolle und las sie schnell durch.
    Sie war in einer unbekannten Handschrift dreimal verschlüsselt, aber Jin kannte diesen Vogel gut. Von allen Vögeln ihres Vaters war dies derjenige, der sie finden konnte, wo immer sie auch sein mochte, und er hatte ihn zu allen Zeiten in seiner Nähe behalten.
    Und nun hatte er sie abermals gefunden, auch wenn er sich in den Winden und Regengüssen und im Schnee vollkommen verausgabt hatte, um seine letzte, lange Reise zu vollenden.
    Verzweifle nicht, Große Mutter , hieß es in der Nachricht. Die Bundschaft deines Vaters wird durch die Alten Wege erneuert werden, und sein Blut wird unsere Erlösung erkaufen. Sie blinzelte bei diesen Worten und spürte, wie etwas Bedrohliches sich auf sie herabsenkte. Angst umfing sie, und Jin dachte an die krächzende Stimme des Bundraben aus ihren Alpträumen, obwohl

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