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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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Bundschaft mit dem Sumpfvolk und ihre Schutzherrschaft über die Verbliebenen Androfranziner würden ihr Einschreiten erfordern. Natürlich wusste das auch Jin Li Tam. Er blickte auf. »Bleibt mir noch Zeit, Vögel auszuschicken?«
    Merrique nickte. »Natürlich.«
    Rudolfo entschuldigte sich und ging zu seiner Kajüte. Er setzte sich an den kleinen Tisch und starrte Papier und Tintennadel an. Daneben lag der Stapel von Petronus, der ebenfalls seiner Aufmerksamkeit harrte. Aber vorher musste er diese Nachrichten verfassen. Er wusste, welchen Inhalt sie haben mussten, und sie waren ihm eine schwere Bürde.
    Ich sollte jetzt zu Hause sein , dachte er. Aber der Gedanke an das kleine, graue Gesicht seines Sohnes veranlasste ihn dazu, dieses Gefühl abzuschütteln und zur Nadel zu greifen. Jin Li Tam war in jeglicher Hinsicht ein ebenso hervorragender Stratege wie er – sogar noch mehr als er. Er hatte in dieser Aufgabe genauso großes Vertrauen in sie wie in sich selbst.
    Mit geübter Hand kritzelte er die erste Nachricht in dreifacher Verschlüsselung hin, dann hielt er inne, um sie noch einmal zu lesen.
    Esarovs Worte kamen ihm in den Sinn. Rudolfo betrachtete sich nach wie vor als Petronus’ Schutzherrn – wie auch von allen anderen Androfranzinern. Wie sein Vater es ihm beigebracht hatte, nahm er seine Versprechen ernst, und er hatte diesen Mantel während des Krieges angelegt, als Petronus ihn darum gebeten hatte. Nicht nur aus diesem Grund standen die Flüchtlinge unter seinem Schutz, sondern auch weil Petronus – dieser kluge franzinische Beobachter des menschlichen Verhaltens – bestimmt gewusst hatte, dass der Zigeunerkönig sich um seine Flüchtlinge kümmern würde, nachdem er Rudolfo den riesigen Reichtum des Ordens anvertraut hatte. Aber nicht nur um die Flüchtlinge von Windwir, um alle Flüchtlinge – um die Wenigen aus den
mittlerweile verlassenen Bücherhäusern in Turam wie um die Scharen aus dem Entrolusischen Delta.
    Nein, sie sind keine Flüchtlinge.
    Er dachte an Neb, der mit Aedric und Isaak draußen in den Ödlanden war, außerhalb der Reichweite der Vögel, wie es in der letzten Nachricht von zu Hause geheißen hatte. Und inzwischen bereitete Winters zweifellos ihre erste Kriegspredigt vor, um sich einem unheimlichen Feind zu stellen, der sich aus ihrem eigenen Volk erhob. Rudolfos Familie war so weit angewachsen, dass sie inzwischen sogar einen Metallmann beinhaltete, auf dessen zufällig entstandener Seele der Kummer eines Völkermords lastete.
    Ich sammle Waisen.
    Rudolfo spürte, wie der Wind die Segel füllte und das Schiff den Fluss hinab auf das offene Meer zufuhr. Schließlich schob er alle anderen Gedanken von sich und widmete sich den Nachrichten, die er verschicken musste.
    Aber noch während er schrieb, spürte er etwas in sich aufwallen, das ihm vollkommen fremd war. Es wurde mit jeder Flussmeile, die sie hinter sich brachten, größer und stärker. Bald würde er zum ersten Mal seit über zwei Jahrzehnten die Benannten Lande verlassen, um eine Maus im Heufeld zu suchen, und seine Neun Häuser der Neun Wälder mit ihren komplizierten Verpflichtungen der Bundschaft würden in den Händen eines anderen verbleiben, zum ersten Mal, seit er mit zwölf Jahren den Turban an sich genommen hatte.
    Rudolfo gab dem Gefühl, das er spürte, einen Namen und seufzte.
    »Ich habe Angst«, sagte er leise in den leeren Raum.
    Jin Li Tam
    Jin Li Tam fluchte tonlos und spürte, wie ihre Kopfhaut vor Ärger prickelte. »Er hat was getan?«
    Der Zweite Hauptmann Philemus trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Er ist mit Isaak und dem Ödlandführer Renard geflohen.«
    Sie zwang sich weiterzuatmen. Letzte Nacht war sie mit Jakob an der Reihe gewesen. Er hatte überhaupt nicht geschlafen, was auch für sie eine schlaflose Nacht zur Folge gehabt hatte, bis Lynnae ihn beim ersten rosaroten Schein der Morgendämmerung abgeholt hatte. Nicht wenig später hatte man sie zu dieser Audienz gerufen. Sie streckte den Arm aus, und der Zweite Hauptmann legte die Nachricht in ihre wartende Hand.
    Sie konnte es kaum glauben. Neb war vor über einer Woche ausgebüxt, zusammen mit Isaak und diesem Ödlandbastard Renard, und sie bekam es erst jetzt mit. »Und weshalb«, fragte sie und legte die Nachricht beiseite, »erfahren wir das erst jetzt?«
    »Es gab Schwierigkeiten mit den Vögeln«, sagte er. »Sie haben dort am Wall mehrere verloren, und ihre Magifizierung scheint nicht zu halten. Wir wissen

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