Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
Vom Netzwerk:
Mann?«
    Sie sah, wie Tränen aus seinen milchigen Augen sein Gesicht hinabflossen. »Dass ich das Kind der Verheißung in meinen Armen halten und meinen Segen darüber sprechen darf.«
    Jin Li Tam war selbst überrascht von ihrer Reaktion. Sie spürte, wie die Härchen auf ihren Armen sich aufrichteten und wie etwas Kaltes nach ihrem Magen griff. »Ihr seid bereits mit den Gegebenheiten meines Hauses vertraut, wie es scheint«, sagte sie. »Ihr wisst, dass mein Sohn krank ist.«
    »Vielleicht«, sagte er, »würde ihm mein Segen guttun.«
    Jin Li Tam schüttelte langsam den Kopf. »Ich kenne Euch nicht, Ezra. Ihr werdet nicht in die Nähe meines Sohnes gelangen.« Sie spürte Hitze in sich aufsteigen, einen gerechten Zorn.
    »Ich könnte jetzt einen Pfiff ausstoßen und ihn zu mir bringen lassen«, sagte Ezra seufzend. »Aber stattdessen will ich auf eine andere Gelegenheit hoffen.«

    Ich könnte jetzt einen Pfiff ausstoßen. Sie schob die verhüllte Drohung beiseite, damit sie später darüber nachdenken konnte. »Ihr wollt sagen, Ihr seid nicht allein?«
    Er lachte schallend. »Ich bin ein alter, blinder Mann. Es wäre dumm von mir, allein zu reiten.«
    Jin schaute auf den Boden um ihn herum. Er hatte mit seinem Pferd den Schnee so gelungen zertrampelt, dass sie die Spuren einer magifizierten Eskorte, die möglicherweise bei ihm war, nicht erkennen konnte. Aber sie musste sie nicht sehen, um zu wissen, dass die Sümpfler Blutmagifizienten benutzten. Sie dachte an die Späher, die sie umgaben, und an die anderen, die die Kutsche mit Jakob und Lynnae irgendwo näher am Zentrum der hinter ihr wartenden Armee bewachten. »Abgesehen von meinem Sohn und meiner gesundheitlichen Verfassung«, sagte sie mit leiser, gemessener Stimme, »was führt Euch zu Verhandlungen hierher?«
    »Nur dies«, sagte er. »Wir haben vor, unsere Bundschaft mit dem Zigeunerkönig zu ehren. Unseren Häusern steht eine große Aufgabe bevor, wenn wir die Benannten Lande für das heraufziehende neue Zeitalter gemeinsam umgestalten wollen.«
    Sie versuchte, die Informationen zu sortieren und zu ordnen, die sie aus seinen Worten ableitete, aber es war ein Kampf auf verlorenem Posten. Sie schwamm in einem Meer aus Fragen, von denen sie wusste, dass sie nicht die Zeit hatte, sie zu stellen. »Unsere Bundschaft«, sagte sie langsam, »besteht mit Königin Winteria … nicht mit Euch.«
    »Bundschaften«, erwiderte Ezra, »reichen tiefer und weiter, als Ihr es von Eurem Standpunkt aus ahnen könnt, Große Mutter.«
    »Und deswegen möchtet Ihr, dass ich meine Armee umkehren lasse?«
    Er nickte. »Ja, obwohl ich bezweifle, dass Ihr es tun werdet.«
    Jins Blick verengte sich. »Da habt Ihr recht. Ich habe vor, meiner
Bundschaft mit Eurer Königin und mit ihren Nachbarn im Süden Genüge zu tun. Ich werde weiterreiten, um Frieden zwischen ihnen zu stiften.«
    Ezra lächelte. »Und Ihr könntet einen Anschein davon erreichen«, sagte er, »aber er wird nicht lange halten. Dies sind die Geburtswehen, die Schmerzen, die entstehen, wenn etwas ge schaffen wird.« Er verstummte kurz, als würde er sie mustern, und in diesem Augenblick hätte Jin geschworen, dass er sie sehen konnte. Sein starrender Blick durchdrang sie regelrecht. »Ihr seid ein Teil dieser großen Schöpfung. Ebenso Euer Ehemann. Und Jakob – er ist gebenedeit unter den Menschen.«
    Bei diesen Worten verzog Jin das Gesicht. In seiner Sprache lag ein Rhythmus, der eine vertraute Saite tief in ihr zum Schwingen brachte, und sie erkannte plötzlich, worum es sich handelte.
    Die Träume. Die Stimme war eine andere, aber der Tonfall war derselbe. Jin blickte rasch nach oben, um ihren plötzlichen Verdacht zu bestätigen.
    Hoch in den Ästen eines Nadelbaums saß ein riesiger schwarzer Vogel – ein Bundrabe, wie ihr mit einem Mal bewusst wurde – und beobachtete sie mit seinem einen schwarzen Auge.
    »Habt Acht, Große Mutter«, sagte Ezra, während er sein Pferd wendete. »Die Bundschaft des Hauses Y’Zir und seiner Diener ist keine Kleinigkeit, die man ungestraft vernachlässigen kann.« Sein Blick verengte sich dabei, und ob er nun blind war oder nicht, Jin war überzeugt, dass er sie sehen konnte. »Ebenso wenig ist ein Segen etwas, das man so unbesonnen abweisen sollte, denn eines Tages wird er Euren Sohn retten, und im Gegenzug wird Jakob uns alle retten.«
    Fassungslos saß Jin Li Tam im Sattel und blinzelte. Der Verdacht war ihr natürlich bereits gekommen: Sie hatte die Berichte des

Weitere Kostenlose Bücher